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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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Vergnügen, genauso hatte er sich seine Hochzeit vorgestellt. Im Grunde fehlte nur noch Jeffs lange Zunge. Schade, Jessies Freundin hatte das Chamäleon gegen einen neuen Verehrer ausgetauscht, dessen Spezialität nur sie kannte.
    Jemand tippte ihm auf die Schulter.
    »Ryan?« Die Wirtin steckte ihm einen Zettel zu. »Den hat jemand für dich abgegeben.«
    Verwundert faltete er das Blatt auf. Mit einem Schlag war sein Puls auf hundertachtzig. Er sprang mit einem unterdrückten Fluch auf. »Wo ist der Kerl?«, fauchte er.
    Die Wirtin wich erschrocken zurück. »Er – ich weiß nicht – an der Tür«, stammelte sie.
    Er rannte zur Tür, riss sie auf. Die Straße lag still und verlassen vor ihm. Nur zwei Kinder spielten lachend Fußball mit dem Schnee. »Verfluchte Schweine«, knurrte er, ebenso wütend wie ratlos.
    Irwyns Stimme erschreckte ihn: »Was ist los?«
    Er knallte die Tür zu und versicherte sich, dass niemand zuhörte. Dann zeigte er ihm den Zettel. »Das ist los. Der wurde eben für mich abgegeben.«
    Nach einem Blick auf das Papier zuckte Irwyn die Achseln. »Sieht ziemlich Chinesisch aus, wenn du mich fragst.«
    »Ich kann auch kein Chinesisch lesen, aber eins ist sicher: das sind die gleichen Zeichen, die auf dem Zettel standen, den ich beim Brand gefunden habe. Verstehst du?«
    »Das ist allerdings ...«
    »Was mache ich jetzt?«
    Das Bild der unheimlichen Zeichen hatte sich ihm tief eingeprägt:
    任何时间
    到处  
    Übersetzt zwei harmlose Wörter, wie sie bedrohlicher nicht sein könnten: jederzeit, überall.
    »Lis Gangster sind hier«, murmelte er tonlos.
    Irwyn betrachtete den Zettel gedankenverloren. »Diese Leute  sind zu allem entschlossen. Wir müssen die Polizei einschalten«, sagte er entschieden.
    »Ja sicher, bis die Polizei auf unsere Geschichte reagiert, haben die mich längst abgeknallt.«
    Irwyn schüttelte stumm den Kopf. »Nicht wenn wir ordentlich Dampf machen.« Er fischte sein Handy aus der Hosentasche und wählte. Sobald die Verbindung stand, sprach er mit verstellter Stimme und seltsam verändertem Akzent, aber langsam und überaus deutlich ins Mikrofon: »Hören Sie gut zu, ich sage es nur einmal: um 16:00 Uhr geht im ›Black Dog‹ in Weymouth eine Bombe hoch.« Bevor Ryan reagieren konnte, kappte er die Verbindung.
    »Bist du wahnsinnig?«, rief er entsetzt.
    »Tut mir leid, mein Lieber, aber das ist die einzig sichere Methode, die Kavallerie aufzubieten. Die werden mit einer ganzen Armee und heulenden Sirenen anrücken. In wenigen Minuten wimmelt es hier von Polizei, Feuerwehr und Gott weiß was noch. Deine Gangster werden schneller verschwinden, als sie auf Chinesisch Scheiße sagen können.«
    »Wahnsinn«, wiederholte Ryan ungläubig. »Und was sagen wir dem Volk?«
    »Gar nichts. Wir lassen uns überraschen.«
    Seine gute Stimmung war dahin. Blass und angespannt setzte er sich wieder zu den Gästen. Jessie beobachtete ihn argwöhnisch. Sie stand auf und kam auf ihn zu, ihr Gesicht ein einziges Fragezeichen. »Willst du mir nicht sagen was los ist?«
    »Was meinst du?«
    »Liegt dir die Kreuzfahrt im Magen?«
    Er versuchte zu lachen, vergeblich. Sinnlos, ihr etwas vorzumachen. Während er noch überlegte, wie er ihr die neue Bedrohung schonend beibringen könnte, drangen die ersten Sirenentöne ins Lokal. Die Unterhaltung stockte, als die Blaulichter durch die Fenster blitzten und das Geheul erstarb. Er schaute heimlich auf die Uhr: 15:43. Es musste schnell gehen, wenn sie die Bombendrohung ernst nahmen. Die Tür flog auf, vier Polizisten stürmten herein.
    »Ladies and Gentlemen, bitte verlassen Sie sofort das Gebäude. Lassen Sie alles stehen und liegen und folgen Sie draußen den Anweisungen der Polizei. Wir haben eine Bombendrohung erhalten. Das ist keine Übung. Ich wiederhole: dies ist keine Übung.«
    Eine Schrecksekunde blieb es mäuschenstill im Saal, dann brach das Chaos aus. Er nahm Jessie bei der Hand und eilte mit ihr am grinsenden Irwyn vorbei zum Ausgang. Die Uniformierten hatten alle Hände voll zu tun, die Leute zur Eile anzutreiben und gleichzeitig Panik und Stau an der Tür zu kontrollieren, aber sie schafften das Unmögliche. Noch vor der angekündigten Zeit war das Haus mit dem ›Black Dog‹ geleert. Polizeibusse karrten die Leute in Sicherheit. Die Gegend war weiträumig abgesperrt, die Feuerwehr hatte Stellung bezogen.
    »Bombendrohung?«, raunte ihm Jessie fassungslos ins Ohr.
    Sie hielt seinen Arm so fest umklammert, dass er schmerzte.

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