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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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Schleusentür, gab den Sicherheitscode ein und wartete noch einmal eine Ewigkeit, bis ihn das Stahlgitter der inneren Drehtür in die diskreten Eingeweide der kleinen aber feinen Privatbank ›Escher, Stadelmann & Compagnie‹ entließ.
    ›Zurich 08:57, Shanghai 14:57‹ zeigte die unübersehbare Weltzeituhr, als er den Handelsraum betrat. Er zog den Knopf des Telefons aus dem Ohr, riss Charlotte gleichzeitig den Hörer aus der Hand und brüllte:
    »Walter, 16'200 Neodym TREM 99 verkaufen – jetzt! Loco Schanghai.«
    »16'200 Tonnen Neodym verkauft zu 476'500 Yuan«, bestätigte die emotionslose Stimme seines Brokers in Zug nach wenigen Sekunden. Die Uhr zeigte 14:59 Schanghai-Zeit.
    Roberts Blut kochte. Das Adrenalin rauschte wie ein Wasserfall durch seinen Körper, trieb ihm das Blut in den Kopf, dass er glaubte zu explodieren. Jedes Mal dasselbe, wie beim ersten Deal. Die Zahlen auf dem Bildschirm verschwammen für einen Augenblick, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Du könntest mir wenigstens gratulieren, Walter«, knurrte er ins Telefon.
    »Fick dich.«
    Er schmiss den Hörer lachend auf die Tischplatte. Walter war in Ordnung. Auf ihn war seit Jahren Verlass, aber einen irren Deal wie diesen gab es für sie beide bisher noch nicht. Er hatte eben im Auftrag seines Kunden zwölf Prozent der Weltproduktion von Neodym verkauft, mit einem horrenden Gewinn zurückverkauft. 15'000 Tonnen des Metalls, das er nie gesehen hatte, und das ihn auch in keiner Weise interessierte. Gleichzeitig war er seine giftige private Position von 1'200 Tonnen los. Die Kasse hörte gar nicht mehr auf zu klingeln. Bessere Tage gab es nicht.
    Er nahm allmählich wieder wahr, was um ihn herum vorging. Charlotte und die übrigen sechs Kollegen hatten einen Halbkreis um sein Pult gebildet. Einer der Devisenhändler ergriff wortlos den kleinen Weihnachtsmann aus Plastik neben Roberts Tastatur, schaltete ihn mit theatralischer Geste ein und stellte ihn wieder auf sein Podest zurück. Der Wicht mit der abgegriffenen, schmutzig roten Zipfelmütze kreiste mit den Hüften wie ein Hula-Tänzer und krächzte dazu fröhlich: »Jingle bells, jingle bells...«
    Robert räumte Telefon und Tastatur zur Seite, stieg auf die Tischplatte und begann, die sinnlichen Hüftschwünge des Männchens synchron zu imitieren. Die Zuschauer klatschten im Takt. Bald ließ sich Charlotte dazu hinreißen, mitzusingen, bis auch sie nicht mehr konnte und sich vor Lachen den Bauch hielt. Mit anzüglichem Grinsen machte er weiter, hörte nicht auf, bis auch der Letzte sich krümmte. Es war das Siegesritual im Handelsraum von ES&Co. Der Tanz des Triumphators, eingeführt vom damals blutjungen Chefhändler Robert Bauer, als er das erste Mal so richtig zugeschlagen hatte.
    »War ganz schön knapp heute Morgen«, meinte Charlotte später beim Mittagessen im ›Zeughauskeller‹.
    »Knapp? Wir hatten noch fast eine Minute.«
    »Bist ja echt gut drauf.«
    »So ist es, meine Liebe. So gut, dass ich mich die ganze Zeit frage, was ich mit dem freien Nachmittag anfangen soll.«
    »Großartig«, platzte Renzo, der Devisenhändler heraus, der sich ausnahmsweise den Luxus eines Essens gönnte, das nicht aus Plastikbechern stammte. »Der Star verkrümelt sich, und wir armen Schweine dürfen den Kleinkram erledigen.«
    »Wozu ist man Chef?«, grinste Robert. »Ich habe volles Vertrauen in die Kompetenz meiner Mitarbeiter.«
    Die lauten Buhrufe erschreckten die indische Familie am Nebentisch, dass Eltern und Kinder ängstlich von ihrem frittierten Flussbarsch aufschauten. Renzo verzog seinen Mund zu einer säuerlichen Grimasse und klagte:
    »Es gibt schon Spannenderes als Yuan in Dollar zu konvertieren.«
    »Sei doch froh. So geht wenigstens deine Kursabsicherung nicht in die Hose«, gab Robert spitz zurück.
    »Wundert mich schon, wie lange unsere chinesischen Freunde ihren fixen Wechselkurs noch halten können«, murmelte Charlotte, während sie lustlos in ihrem Kartoffelsalat stocherte.
    Renzos Gesicht wurde ernst. »Der Zeitpunkt wird einzig und allein von Peking bestimmt«, sagte er überzeugt. »Die lassen sich von niemandem in die Suppe spucken. Recht haben sie.«
    Robert nickte. »Von mir aus brauchen sie sich nicht zu beeilen. Der fixe Yuan erleichtert unsere Geschäfte mit China ganz erheblich.«
    Eine Weile aßen sie schweigend, bis Charlotte den halbvollen Teller wegschob und gedankenverloren zu ihm sagte: »Schon seltsam, das Timing.«
    »Was meinst du?«
    »Die

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