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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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setzen und wartete.
    Sie kannte Bob lange genug, ignorierte die unausgesprochene Drohung. Ruhig und sachlich antwortete sie: »Vor einer Stunde wechselte einer meiner REE Filter auf rot. Ich hab’s kurz analysiert und meine, dass es kein falscher Alarm ist.«
    »Will ich hoffen.«
    Sie breitete die Unterlagen vor ihm aus. »Dieser Ryan Cole ist ein Mathematiker aus Bristol, UK. Soweit ich mitbekommen habe, entwickeln sie dort ein Modell, mit dem sie alle möglichen Finanzblasen ziemlich präzise voraussagen und eingrenzen können. Die Publikation ist eine seriöse Fachzeitschrift, also nehme ich nicht an, dass es sich um irgendeinen Hokuspokus handelt. Was die Sache für uns interessant macht, ist dieser Abschnitt in der Zusammenfassung.« Sie zeigte auf die Stelle, wo die Seltenen Erden erwähnt waren. Während er las, ergänzte sie beiläufig: »Der vorausgesagte Neodym Preissprung deckt sich genau mit dem Zeitpunkt der Minenkatastrophe.«
    »Was?«, fuhr er sie an. »Das sagst du mir erst jetzt?«
    Sie verzog die Mundwinkel zu einem spöttischen Lächeln. Ausgezeichnet, sie war im Geschäft.
    Bob schüttelte ungläubig den Kopf und brummte: »Du willst mir allen Ernstes weismachen, dass diese Brits die Katastrophe kommen sahen?«
    »Das glaube ich nicht, aber hätte ihr Modell damals schon existiert, hätte es auf einen Preissprung hingedeutet. Sie nennen das Regime-shift.«
    »Und wenn schon«, entgegnete er ärgerlich. »Das hätten auch normale Marktturbulenzen sein können. Das Wundermodell hätte die Katastrophe auch nicht vorausgesehen.«
    »Klar, aber darum geht es mir nicht. Ich will auf etwas anderes hinaus. Dieser Cole und seine Leute behaupten, die finanziellen Auswirkungen des Attentats im Voraus ziemlich genau berechnen zu können. Und das einzig und allein aufgrund öffentlich zugänglicher Daten. Da frage ich mich, was das Modell wohl leisten würde, wenn es unsere Daten zur Verfügung hätte. Gut möglich, dass wir damit den Urhebern des Anschlags doch noch auf die Schliche kommen.«
    Er schaute sie nachdenklich an. Die Skepsis wich allmählich aus seinem Blick, machte einer Mischung aus Neugier und Jagdlust Platz. Ein sicheres Zeichen, dass er begann, einen Schlachtplan auszuhecken. »Mit Daten meinst du wohl SWIFT«, murmelte er.
    »Unter anderen«, nickte sie. Praktisch alle Geldströme zwischen Banken und Firmen, sogar Einzelpersonen, liefen als Meldungen über das weltweite Netzwerk der ›Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication‹, SWIFT, mit Sitz in Belgien. Wollte man herausfinden, wann wer wem wie viel und wofür bezahlt hatte, gab es keine bessere Datenquelle.
    »Wie kommen wir an die Archive?«
    Sie lächelte, vielleicht ein wenig zu selbstzufrieden. Aber sie hatte ihre Hausaufgaben gemacht. »Wir haben Glück«, sagte sie. »Mountain Pass fällt in die Zeit, als noch der ganze SWIFT-Verkehr auf unsere Server gespiegelt wurde. Wir haben alles in unseren Archiven, brauchen keinen Antrag zu stellen.«
    »Zufälle gibt’s«, grinste er.
    Bob wusste genauso gut wie sie, dass sie die SWIFT-Meldungen auch unter den neuen, strikteren europäischen Datenschutz-Bestimmungen erhalten hätten. Dauerte bloß etwas länger.
    Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. Er sagte entschlossen: »Wir haben die Daten, ich organisiere die Einsteins, du das Modell. Inkognito.«
    »Funktioniert nicht, fürchte ich. Nichts gegen unsere Eierköpfe, aber wie ich es sehe, geht es bei diesem Modell um Spitzenforschung. Bis sich unsere Jungs eingearbeitet haben, verlieren wir wertvolle Zeit. Wäre es nicht viel einfacher, diesen Cole die Arbeit machen zu lassen? Wir haben noch genug damit zu tun, die Daten für sein Modell aufzubereiten.«
    »Wie stellst du dir das vor? Wir geben keine Daten heraus, basta.« Leise fügte er hinzu: »Auch wenn sie uns nicht gehören.«
    Das war das Hauptproblem. Sie überlegte schon die ganze Zeit, wie sie das Dilemma lösen könnten. Es half nichts. Die NSA musste in der einen oder anderen Richtung über ihren Schatten springen. Entweder gingen ihre Daten an die Forschergruppe in England, oder die englischen Forscher brachten ihr Modell und das nötige Wissen dazu nach Fort Meade. Eine vernünftige dritte Lösung sah sie nicht. Das sagte sie ihm auch.
    »Unmöglich«, war Bobs erste Reaktion.
    Sie hatte nichts anderes erwartet, schwieg jedoch. Sie musste ihm Zeit lassen, sich an den furchtbaren Gedanken zu gewöhnen. Er runzelte die Stirn, während er die zwei

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