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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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taugte. Er rannte hinaus, den Korridor hinunter zur Kaffeeküche, schenkte sich einen Becher der siedend heißen, sauren Brühe ein, eilte an den Schreibtisch zurück und begann, die Filter umzubauen.
    Dutzende zerknüllte Seiten weiter, sechs Stunden später, mit einem knurrenden Magen, den man bis in Irwyns Büro am andern Ende des Flurs hören musste, glaubte er soweit zu sein. Es blieb lediglich noch, die Software an die modifizierten Formeln anpassen, eine vergleichsweise kinderleichte Übung. Der Zeitpunkt für den Testlauf war gut. Abends um acht war nicht mehr viel los auf der Serverfarm. Er startete seine neue Modellrechnung mit der vollständigen Datenbasis als Eingabe. Ein Datenchaos aus Text und Zahlen von nahezu tausend Gigabytes. Die Rechnerei würde die ganze Nacht dauern. Mit ein wenig Glück erwartete ihn am nächsten Morgen ein Resultat, wie er es noch nie gesehen hatte. Etwas weniger Glück, und einmal mehr würde ihn nur die Fehlermeldung Abort xyz begrüßen.
    Mr. Meriwether begriff nichts von seiner Arbeit. Er hatte nicht das geringste Verständnis dafür, dass Ryan ihm am nächsten Morgen nur ein Tellerchen mit etwas Milch hinstellte. Er drückte sich so lange jammernd zwischen seinen Beinen herum, bis er den vertrockneten Rest seines Sandwichs holte und ihm ein paar Krümel der Füllung hinstreute, die einmal Schinken gewesen war. Mr. Meriwether machte einen Bogen um die Katastrophe, leckte seine Milch auf und ließ ihn stehen.
    An diesem Morgen rannte er ins Institut. Atemlos drückte er auf die Leertaste, um den Bildschirm aufzuwecken. Er wagte kaum hinzusehen. Keine Fehlermeldung. Seine Hand zitterte leicht, als er mit der Maustaste durch die Tabellen und Grafiken blätterte, die sein Programm erstellt hatte. Ein Wonnegefühl durchrieselte ihn, durchaus vergleichbar mit dem Augenblick, als Jessie ihn zum ersten Mal mit einer Leidenschaft auf den Mund küsste, dass er sich auf der Stelle in reine Energie auflöste. Hastig druckte er einige Seiten aus und rannte damit zu seinem Professor.
    »Heureka!«, rief er lauthals, während er ins Büro stürzte.
    »Auch einen guten Morgen wünsche ich dir«, brummte Irwyn verschlafen, ohne aufzuschauen. »Komm doch herein.«
    »Sorry – aber – hast du einen Moment Zeit?«
    Als Irwyn das verschmitzte Grinsen im Gesicht seines Doktoranden bemerkte, lächelte auch er. »Her mit dem Wisch«, befahl er mit einer fordernden Handbewegung. Er studierte die neuen Resultate eingehend. Das war so üblich. Erst machte er sich selbst ein Bild, bevor er etwas hören wollte. »Nicht schlecht«, sagte er schließlich mit undurchdringlicher Miene. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und wartete auf den etwas längeren Kommentar seines Schülers.
    »Nicht schlecht«, äffte Ryan nach. »Du bist gut. Deine Nerven müsste man haben. »Hast du die Breite der Analyse gesehen? Das Modell wählt jetzt automatisch Kandidaten für Blasen aus praktisch dem ganzen Spektrum von Finanzinstrumenten. Inklusive Titel, für die es nur einen dünnen Markt gibt wie Rohstoffe, die nur von wenigen spezialisierten Firmen gehandelt werden. Seltene Erden zum Beispiel.«
    Das Lächeln kehrte auf Irwyns Gesicht zurück. »Beruhige dich. Das habe ich sehr wohl bemerkt. Mir scheint, das ist der Durchbruch, von dem ich neulich gesprochen habe. Wir werden das gründlich miteinander verifizieren und so schnell wie möglich publizieren, als Vorabdruck deiner Dissertation. Dieses Ergebnis muss in die Fachpresse.«
     
    Fort Meade, Maryland
     
    Alex wuchtete die Kiste mit ihrem persönlichen Kram und dem Büromaterial auf ihren neuen Schreibtisch. In den vier Jahren im Innern des Allerheiligsten der NSA war dies der dritte Umzug. Fast wie in der Redaktion. Sie schaute sich um, schnupperte die Luft im Zimmer, das nun für ein paar Monate, vielleicht ein Jahr ihr neuer Arbeitsplatz war. Eine substantielle Verbesserung allerdings, das musste sie sich eingestehen. Trotzdem rümpfte sie die Nase. Die Luft im Einzelbüro wirkte seltsam tot. Das gewohnte Aroma aus Körpergerüchen, Rasierwasser und heiß laufenden Computern wie in andern Büros fehlte. Hier war sie das einzig Lebendige. Aber Einzelbüro, fast Eckbüro, und ihr ›f2b‹ war auf lächerliche zwanzig geschrumpft. Besser ging nicht. Wenn nichts anderes, dann sagte der ›f2b‹ als zuverlässigstes, allgemein anerkanntes Maß, wie es um die Karriere eines Mitarbeiters stand. Sie hatte nie herausgefunden, ob das Kürzel als ›feet from

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