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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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für einen SWIFT-Spezialisten. Die Auswertungsmodule sind bereits so konzipiert, dass sie alle Resultate bis zu den Quellen aufschlüsseln können. ›Backtracking‹ nennen wir das.«
    »Das ist – gut.« Eine intelligentere Antwort fiel ihr nicht sofort ein. Heute war ihr Glückstag. Bob würde begeistert sein. Vielleicht auch nicht. Das Modell war immerhin noch nicht im Haus.
    »O. K., ich muss wieder. Hat mich gefreut, mit Ihnen zu sprechen, Alex.«
    »Mich – auch. Bitte die Mail nicht vergessen.«
    »Alles klar. Bis zum nächsten Mal.«
    Gar nichts war klar. Was bildete dieser Ryan sich ein, sie derart zu verwirren? Warum tauchten plötzlich die verträumten Augen seiner Verlobten hinter ihrem Monitor auf? Das blonde Gift sagte kein Wort, aber sie wusste genau, was die Frau sagen wollte. Und sie hatte wahrscheinlich recht.
    »Schlag dir diesen Kerl aus dem Kopf«, schnauzte sie das Phantom an.
    »Was soll ich?« Bob trat ein. Er schien nur gewartet zu haben, bis sie den Hörer auflegte.
    »Komm doch herein«, lächelte Alex säuerlich.
    »Lass die Scherze. Wo ist das Modell?«
    »Das ist eine längere Geschichte. Der Bericht ist fast fertig. Wenn du mir noch zehn Minuten ...«
    »Wäre ich dann in deinem lausigen Büro? Ich habe keine zehn Minuten. Also?«
    »Das Modell muss erst erweitert werden.« Es hörte sich an wie eine Tatsache, und so ganz falsch war die Antwort nicht. Sie erklärte ihm die notwendigen Anpassungen, indem sie wiederholte, was sie eben gehört hatte.
    »SWIFT-Gurus haben wir genug«, brummte Bob. »Kein Problem. Wo sind die Spezifikationen?«
    Gute Frage. Wenn sie ihre SWIFT-Daten in Ryans Modell füttern wollten, mussten die Programmierer der NSA genau wissen, welche Informationen in welchem Format die britische Software benötigte. Mist. Verwirrt wie sie war, hatte sie völlig vergessen, diese naheliegende Frage zu stellen. »Er – meint, die Schnittstellen müsse man zusammen erarbeiten«, antwortete sie unsicher. Sie hoffte, Bob würde die Spekulation nicht riechen.
    Er schüttelte den Kopf und knurrte verächtlich: »Blödsinn.«
    »Vergiss nicht: das ist ein Forschungsprojekt, kein kommerzielles Software-Paket mit sauber dokumentierten Modulen und Daten-Schnittstellen.« Wenn sie schon flunkerte, konnte sie gleich weitermachen. Sie musste dringend das Thema wechseln. »Ich habe übrigens gerade mit Ryan gesprochen«, erwähnte sie beiläufig.
    »Und?«
    »Es gibt interessante Neuigkeiten. Sein Modell ist einer weiteren Blase auf der Spur, die sehr bald platzen soll.«
    »Was du nicht sagst.«
    Sie ignorierte den sarkastischen Unterton und berichtete von Ryans Wette. Sobald sie das Lithium erwähnte, horchte Bob auf.
    »Lithium?«, unterbrach er erregt. »Lithium, verstehst du? Batterien, Akkus, Elektronik, Elektroindustrie, Waffentechnologie, Energiepolitik. Klingelt’s?«
    »Ich weiß nicht ...«
    Händeringend klärte er sie auf: »Mountain Pass, Neodym, Magnete für Generatoren, Elektromotoren, Waffen, Energiepolitik. Siehst du einen Zusammenhang?«
    »Du glaubst ...«
    »Was ich glaube braucht niemanden zu interessieren. Wir brauchen alle Facts über diese Lithium-Geschichte, und zwar auf der Stelle. Eine zweite Pleite wie Mountain Pass können wir uns nicht leisten.«
    »Ich erwarte die Mail mit den Einzelheiten jede Minute.«
    Zum ersten Mal an diesem Morgen zeichnete sich etwas wie ein zufriedenes Schmunzeln auf Bobs harten Gesichtszügen ab. Beinahe schon ein wenig Bewunderung für seine fixe Mitarbeiterin.

Kapitel 4
     
    Gotthardmassiv, Zentralschweiz
     
    Der kleine Tross schwarzer Limousinen verließ die Gotthardstraße beim 400-Seelen-Dorf Amsteg. Mit ihren dunklen Fensterscheiben fielen die Fahrzeuge zwischen den knorrigen alten Blockhäusern auf, doch niemand schien sie zu bemerken. Die Wagen bogen in eine schmale Bergstraße ein, die in engen Serpentinen zu den Felsen hinauf führte.
    Die wenigen im Tal verstreuten Häuser, die leeren Gassen, das einsame Sträßchen, die senkrechten Felswände und schneebedeckten Gipfel, die man fast mit Händen greifen konnte, die ganze Gegend strahlte trotzige Verschwiegenheit aus. Genau das Richtige für das Vorhaben des diskreten Mr. Li neben ihm, dachte Danny. Danny Chen saß mit dem Geschäftsmann aus Macao in der zweiten Limousine. Im Wagen vor ihnen fuhr Tony ›Einohr‹ Cheung. Hinter ihnen sicherte die schöne Mei Tan, die Schlange, die er zuerst in Macao kennengelernt hatte, die kleine Karawane. Auch Li hatte Danny

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