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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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nahm das Fax von ihrem Pult und vertiefte sich in Goldzahns ausführliche Anweisungen. Der chinesische Unternehmer liebte es, seine Wünsche in langatmige Prosa zu fassen, deren Sinn sich ihm erst nach und nach offenbarte. Der Text steckte voller subtiler Hinweise. Nebensätze, die nur der Ausschmückung dienten, verdichteten sich zu einer zweiten Informationsebene hinter den eigentlichen Anweisungen. Der Subtext verriet ihm Goldzahns Motivation und seine Sicht auf das Marktgeschehen. Eine Sicht, die ihm und der Bank schon fette Profite beschert hatte. Er verstand nun Charlottes Kommentar. Der Auftrag lautete, mit Devisengeschäften und Börsentransaktionen Cash zu beschaffen für den über die nächsten Wochen gestaffelten massiven Ankauf von Lithium aus Chile und Argentinien. Gleichzeitig sollten die Aktienbestände der zwei Firmengruppen, die in den USA hauptsächlich Komponenten aus diesem Rohmaterial herstellten, verkauft werden. Ein Déjà-vu. Ein ähnliches Fax hatte er vor vier Jahren schon einmal gesehen. Damals ging es nicht um das weit verbreitete Lithium, das man für Akkus, Elektroautos und Spezialgläser benötigte, sondern um das Seltene Erden Metall Neodym.
    »Die alte Masche, wie du gesagt hast«, murmelte er nachdenklich.
    Sie nickte mit vollem Mund. Die halbe Schachtel war leer. Sie spülte die klebrige Schokolade mit Cola hinunter, dann meinte auch sie in Gedanken versunken: »Diesmal schießt er sich auf Lithium ein.«
    »Li kauft Li – passt«, grinste er, doch er war sich keineswegs sicher, ob er sich auch diesmal freuen sollte. »Er wird wissen, was er tut, packen wir’s.« Ihre Transaktionen würden bereit sein, wenn die Märkte in China öffneten. Und sein Broker in Zug durfte sich auf ein paar einträgliche Geschäfte freuen. Der Geizkragen müsste ihm sowieso wieder einmal einen Abend in der ›Kunststuben‹ an der Goldküste finanzieren.  
     
    Fort Meade, Maryland
     
    Die zartbittere Schokolade war also verlobt. Gedankenverloren schaute Alex zu, wie die Sicherheitsbeamtin ihre Tasche durchwühlte. Sie hätte es sich ausmalen können. Eine solche Stimme, dazu noch in einer knackig sportlichen Hülle, konnte nicht Single sein. Sie schüttelte ärgerlich den Kopf, um die bitteren Gedanken zu vertreiben.
    »Ist was?«, fragte die Uniformierte befremdet.
    »Alles O. K.«
    Zum ersten Mal fiel ihr die Rückkehr nach Fort Meade nicht ganz so leicht wie sonst. Das beunruhigte sie, auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte. Die drei Tage Shopping und Theater in London, die sie an die Geschäftsreise angehängt hatte, genügten offenbar bei weitem nicht, sich diesen Ryan aus dem Kopf zu schlagen. Während ihres Interviews rückte das Thema zeitweise etwas in den Hintergrund. Das Begehren drohte sich vom Modell des Briten auf den Briten selbst zu verlagern. Ganz entgegen den klaren Regeln des Sicherheits-Handbuchs für NSA Angestellte. Was soll’s, sagte sie sich nicht zum ersten Mal, seit sie die Universität von Bristol verlassen hatte. Eine solche Beziehung hätte sowieso keine Chance.
    »Danke, Madam«, murmelte die Frau vom Sicherheitsdienst und schob den Inhalt ihrer Tasche über den Tisch. Einräumen durfte sie selbst. Die Prozedur beim Betreten des ›Building‹ gehörte auch zu den Rätseln, die Alex bis jetzt nicht verstand. Warum konnten die nicht einfach ein paar vernünftige Scanner installieren, die jedes elektronische Bauteil sofort orteten? Vor Elektronik in jeder Form fürchteten sie sich in Fort Meade wie der Papst vor den Frauen. Niemand führte ein Handy, eine Kamera, einen iPod oder Laptop mit sich, wenn er das Gebäude betrat oder verließ. Jeder wusste das. Die Angst vor miniaturisierten Megabytes war größer als die Abneigung gegen Schusswaffen und Klappmesser. Vielleicht müssten die Angestellten eines Tages ihr Hirn leeren vor dem ›COB‹, dem ›Close of Business‹, vulgo Feierabend. Soweit war es Gott sei Dank noch nicht. Weshalb aber beschäftigten sie Heerscharen Uniformierter, um nach Spiegeln, Taschentüchern und Nasensprays der Angestellten zu graben? Unangenehm für beide Seiten und irgendwie überflüssig, doch sie musste ja nicht alles verstehen. Sie stopfte ihre Habseligkeiten in die Tasche, nahm den Notizblock vom Tisch, den niemand beachtet hatte, und machte sich auf den hindernisreichen Weg in ihr privilegiertes Büro – ›f2b‹ zwanzig!
    Sie schaffte es, die Tür zu schließen, ohne dass Bob sie abfing. Sie fuhr den PC hoch, loggte sich

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