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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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befanden sie sich wieder auf der Paradestraße, die nach Portima ˜ o zurückführte.
    »Können Sie sich ausweisen?«, fragte er unvermittelt.
    »So wie mit der Visitenkarte vom ›Journal‹?«, gab sie lächelnd zurück. »Nein, wir tragen keine Erkennungsmerkmale auf uns, das ist eine unserer Spezialitäten. Haben Sie je die Zeitung angerufen?«
    »Jetzt, wo Sie’s sagen. Ja, einmal, und die haben mich ohne weiteres mit Ihnen verbunden. Also arbeiten Sie doch dort.«
    »Ihr Anruf ist direkt zu meinem Büro in Fort Meade umgeleitet worden. Das ist eine weitere Spezialität der NSA. Übrigens, wie habe ich Sie wohl so schnell aufgespürt, obwohl Sie keinen Anruf und keine Nachricht beantwortet und niemandem eine Adresse verraten haben? Was glauben Sie?«
    »Noch eine Ihrer Spezialitäten, nehme ich an.«
    »Genau. Wir haben Ihr Handy lokalisiert, das Sie unvorsichtigerweise für ein paar Minuten eingeschaltet hatten.«
    »Sie machen mir Angst«, meinte er ironisch, doch es schwang eine Spur Unsicherheit mit.
    Die schnurgerade, breite Straße erforderte nicht viel Aufmerksamkeit. So hatte sie keine Mühe, sich darauf zu konzentrieren, ihre sorgfältig zurechtgelegte Geschichte zu erzählen. Diesmal blieb sie bei der Wahrheit, und das fiel ihr entschieden leichter. Sie breitete die Vorgeschichte vor ihm aus, sorgte dafür, dass er verstehen musste, weshalb sie ihn und die Tauglichkeit seines Modells zuerst inkognito abtastete. Und sie gab ihm zu verstehen, dass die mächtige und gefürchtete NSA mit dem größten Budget aller US-Geheimdienste auf ihn und seine Software angewiesen war. Das schien ihm am Ende doch zu schmeicheln, auch wenn er es zu verbergen suchte.
    »Ich soll alles stehen und liegen lassen und nach Fort Meade fliegen?«, fraget er schließlich spöttisch.
    »Ja, so ungefähr«, antwortete sie ohne Umschweife.
    Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Sie meinen es ernst«, murmelte er.
    »Natürlich. Deshalb bin ich hier. Und machen Sie sich keine Sorgen wegen der Kosten ...«
    »Die Software ist nicht verkäuflich«, unterbrach er ungehalten. »Ich gebe das Modell nicht aus der Hand.«
    »Das habe ich angenommen. Ich sprach von den Spesen, Flug, Hotel und so weiter. Und natürlich eine angemessene Entschädigung für Ihre Mitarbeit. Wir besorgen alles. Sie müssen sich um nichts kümmern.«
    »Sie wollen diese Mountain Pass Bande mit allen Mitteln dingfest machen, nicht wahr?«
    »So ist es, und wie es aussieht, können Sie uns helfen.«
    »Angenommen, die Sache interessiere mich. Wie soll ich das Jessie erklären?«
    »Da fragen Sie möglicherweise die Falsche«, meinte sie trocken. »Wie gesagt, die Angelegenheit muss unter uns bleiben. Die Reise braucht sich ja nicht von einem normalen Studienaufenthalt zu unterscheiden.«
    »Lügen kommt nicht infrage. Sie sehen ja, wie sie reagiert.«
    Die Wahrheit würde seine Jessie allerdings noch weniger ertragen, dachte Alex, doch sie hütete sich, die simple Tatsache laut auszusprechen. Stattdessen entgegnete sie nur: »Manchmal ist es besser, nicht alles zu sagen.«
    Er schaute eine Weile stumm zum Fenster hinaus auf die vorüberziehende Landschaft. Allein den Umstand, dass er über ihr Angebot nachdachte, wertete sie als Erfolg.
    »George«, murmelte er in Gedanken versunken. »Vielleicht finden wir heraus, wer George auf dem Gewissen hat.«
    »Wer ist George?«
    »Jessies Onkel, der kleine Bruder ihrer Mutter. Er arbeitete im Bergwerk und kam damals ums Leben.«
    Alex wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Gleichzeitig ärgerte sie sich maßlos, diesen nützlichen Zusammenhang nicht selbst entdeckt zu haben. Falls ihre Untersuchung erfolgreich wäre, und daran zweifelte sie kaum, würden es ihm die beiden Frauen danken. Er schien denselben Schluss zu ziehen, denn als sie wieder in der Lobby des Hotels standen, sagte er entschlossen:
    »Ich überleg’s mir.«
    Ihr Herz machte einen Freudensprung. »Danke«, hauchte sie. »Ich warte auf Ihren Anruf. Ich bin im 312.« Mit einem flüchtigen Kuss auf seine Wange verabschiedete sie sich. Sie rannte die Treppen hinauf und verschanzte sich in ihrem Zimmer. Sie sank mit glasigen Augen aufs Bett und weinte still vor sich hin. Sie redete sich ein, es sei nur die Erleichterung, doch sie wusste es besser.
     
    Fort Meade, Maryland
     
    Alex beobachtete die Reaktion ihrer Zuhörer genau, während sie das Team über Sinn und Zweck der ungewöhnlichen Zusammenarbeit mit dem Mathematiker aus England aufklärte.

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