Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
Vom Netzwerk:
Zusammen mit Bob hatte sie die Kolleginnen und Kollegen für dieses Unternehmen sorgfältig ausgewählt. Sieben Männer und drei Frauen saßen mit ihr im Sitzungszimmer. Bis auf ihren alten Vertrauten Minimax alles blutjunge Leute, Frischlinge. Auch sie mit hervorragenden Qualifikationen, begierig darauf, sich die ersten Sporen zu verdienen. Besser als alte Hasen, die zwar eine Menge Erfahrung mitbrachten, aber vielleicht allzu sehr in gewohnten Bahnen dachten. Kreativität und Neugier waren gefragt, und eine unverkrampfte Haltung gegenüber dem Fremden aus der Alten Welt.
    »Ryan Cole ist kein Angestellter dieser Behörde, vergesst das bitte nicht«, warnte sie eindringlich. »Er rapportiert direkt und ausschließlich an mich, und wir sind dazu da, ihn nach Kräften bei seiner Arbeit zu unterstützen. Ist das klar?«
    Niemand schien ein Problem damit zu haben. Wie sie selbst, hofften alle, endlich einen Durchbruch zu erzielen, eine harte Nuss zu knacken, an der sich schon viele gescheite Leute die Zähne ausgebissen hatten, nicht nur bei der NSA.
    Sie fuhr fort: »Fachlich wird Ryan die Richtung und das Tempo bestimmen. Damit müssen wir uns abfinden. Er allein kennt sein Modell und die Voraussetzungen, unter denen es optimal arbeitet. Für die Zeit seines Aufenthaltes hat er fachliche Weisungsbefugnis. Wenn er eine Analyse für notwendig hält oder einen Datensatz braucht, haben wir zu liefern. Ich will, dass dieses Projekt schnell und reibungslos über die Bühne geht. Bob wird allen dafür dankbar sein, das garantiere ich euch.«
    Sie hatte alles gesagt. Das Briefing war zu Ende, nur eines wollte sie noch loswerden:
    »Im Übrigen ist Ryan ein ganz patenter Kerl.«
    »Endlich ein ganzer Kerl«, rief Minimax grinsend in die Runde.
    »Spar dir deine Kommentare«, gab sie gereizt zurück, doch die Antwort ging im Gelächter der jungen Leute unter.
    Sie hatte heftig mit Bob gestritten, bis er die liberalen Bedingungen akzeptierte, unter denen Ryan hier arbeiten sollte. Dass sie dabei ihre Argumente mit denen des Gastes vermischte, brauchte nur sie zu wissen. Wichtig war nur, dass Bob und alle andern ihren Ryan mit Samthandschuhen anfassten. Wenn ihr Vorgesetzter den Mathematiker für eine neurotische Diva hielt, konnte ihr das nur recht sein.
    Die Tage bis zu seiner Ankunft verliefen chaotisch. Alles musste plötzlich sehr schnell gehen. Sie war Tag und Nacht auf den Beinen und mutierte in dieser Zeit zur gefürchteten Sklaventreiberin. Es war beileibe nicht ihr erstes Projekt, aber es sollte auch nicht ihr letztes sein, dafür würde sie mit allen Mitteln sorgen. Nun stand die Organisation, das Team war instruiert und bereit, loszuschlagen. Gegen alle Widerstände verfügte sie nun über eine kleine Kommandozentrale für sich und Ryan in der höchsten Sicherheitszone, gleich neben dem zur Softwarefabrik umgebauten Sitzungszimmer, wo der Rest des Teams arbeitete. Raum war Mangelware im ›Building‹, aber sie hatte es geschafft. Trotzdem war ihr nicht gelungen, die nervtötende Eintrittsprozedur abzukürzen. Einen halben Tag dauerte Ryans Odyssee durch die Kontrollposten, bis sie sich endlich in ihrem temporären, fensterlosen Büro im Innersten der Festung gegenübersaßen.
    »Ihr Yankees seid einfach paranoid«, seufzte er erschöpft und angelte sich eine Wasserflasche. »Ein Glück, dass ich die weiße Unterwäsche trage, sonst säße ich noch nicht hier.«
    »Stimmt, deine schwarze Spitzenwäsche wäre verdächtig«, lachte sie aufgekratzt. Seit sie ihre Tarnung abgelegt hatte, war der Ton zwischen ihnen wesentlich vertrauter geworden. Sie scherzten und provozierten sich gegenseitig, wie man es sich nur unter guten Freunden erlaubte.
    »Dachte ich mir«, grinste er müde. »Ich fürchte, heute wird ein kurzer Tag für mich.«
    »Der Jetlag, ich weiß. Kein Problem. Ich schlage vor, wir machen eine kurze Vorstellungsrunde mit dem Team. Die Zeit kannst du gleich nutzen, um die Anforderungen an die SWIFT-Schnittstellen zu besprechen. Dann liegt der Ball bei uns.«
    »Hört sich vernünftig an. Gibt’s hier auch Kaffee?«
    »Drüben in der Fabrik.«
    »Fabrik?«
    »Dort arbeiten meine Sklaven.« Sie erhob sich lächelnd. »Kommst du?«
    Ihr eindringliches Briefing zeigte die erwartete Wirkung. Die erste Begegnung Ryans mit den Rookies, die sonst wie hungrige Wölfe jeden zerfleischten, der ihrer Karriere im Weg stehen könnte, verlief beinahe harmonisch. Ryan strahlte eine abgeklärte Ruhe aus, die ihn älter und

Weitere Kostenlose Bücher