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Im Westen Nichts Neues

Im Westen Nichts Neues

Titel: Im Westen Nichts Neues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Irrenanstalt. Es kämen höchstens also zwölf Mann zusammen.
    »Drei sind davon Leutnants«, sagt Müller. »Glaubst du, daß sie sich von Kantorek anschnauzen ließen?«
    »Wir glauben es nicht; wir würden uns auch nicht mehr anschnauzen lassen.«
    »Was hältst du eigentlich von der dreifachen Handlung im Wilhelm Tell?« erinnert sich Kropp mit einem Male und brüllt vor Lachen.
    »Was waren die Ziele des Göttinger Hainbundes?« forscht auch Müller plötzlich sehr streng.
    »Wieviel Kinder hatte Karl der Kühne?« erwidere ich ruhig.
    »Aus Ihnen wird im Leben nichts, Bäumer«, quäkt Müller.
    »Wann war die Schlacht bei Zama?« will Kropp wissen.
    »Ihnen fehlt der sittliche Ernst, Kropp, setzen Sie sich, drei minus –«, winke ich ab.
    »Welche Aufgaben hielt Lykurgus für die wichtigsten im Staate?« wispert Müller und scheint an einem Kneifer zu rücken.
    »Heißt es: Wir Deutsche fürchten Gott, sonst niemand in der Welt, oder wir Deutsche ...?« gebe ich zu bedenken.
    »Wieviel Einwohner hat Melbourne?« zwitschert Müller zurück.
    »Wie wollen Sie bloß im Leben bestehen, wenn Sie das nicht wissen?« frage ich Albert empört.
    »Was versteht man unter Kohäsion?« trumpft der nun auf.
    Von dem ganzen Kram wissen wir nicht mehr allzuviel. Er hat uns auch nichts genutzt. Aber niemand hat uns in der Schule beigebracht, wie man bei Regen und Sturm eine Zigarette anzündet, wie man ein Feuer aus nassem Holz machen kann – oder daß man ein Bajonett am besten in den Bauch stößt, weil es da nicht festklemmt wie bei den Rippen.
    Müller sagt nachdenklich: »Was nutzt es. Wir werden doch wieder auf die Schulbank müssen.«
    Ich halte es für ausgeschlossen. »Vielleicht machen wir ein Notexamen.«
    »Dazu brauchst du Vorbereitung. Und wenn du es schon bestehst, was dann? Student sein ist nicht viel besser. Wenn du kein Geld hast, mußt du auch büffeln.«
    »Etwas besser ist es. Aber Quatsch bleibt es trotzdem, was sie dir da eintrichtern.«
    Kropp trifft unsere Stimmung: »Wie kann man das ernst nehmen, wenn man hier draußen gewesen ist.«
    »Aber du mußt doch einen Beruf haben«, wendet Müller ein, als wäre er Kantorek in Person.
    Albert reinigt sich die Nägel mit dem Messer. Wir sind erstaunt über dieses Stutzertum. Aber es ist nur Nachdenklichkeit. Er schiebt das Messer weg und erklärt: »Das ist es ja. Kat und Detering und Haie werden wieder in ihren Beruf gehen, weil sie ihn schon vorher gehabt haben. Himmelstoß auch. Wir haben keinen gehabt. Wie sollen wir uns da nach diesem hier« – er macht eine Bewegung zur Front – »an einen gewöhnen?«
    »Man müßte Rentier sein und dann ganz allein in einem Walde wohnen können –«, sage ich, schäme mich aber sofort über diesen Größenwahn.
    »Was soll das bloß werden, wenn wir zurückkommen?« meint Müller, und selbst er ist betroffen.
    Kropp zuckt die Achseln. »Ich weiß nicht. Erst mal da sein, dann wird sich’s ja zeigen.«
    Wir sind eigentlich alle ratlos. »Was könnte man denn machen?« frage ich.
    »Ich habe zu nichts Lust«, antwortet Kropp müde. »Eines Tages bist du doch tot, was hast du da schon? Ich glaube nicht, daß wir überhaupt zurückkommen.«
    »Wenn ich darüber nachdenke, Albert«, sage ich nach einer Weile und wälze mich auf den Rücken, »so möchte ich, wenn ich das Wort Friede höre, und es wäre wirklich so, irgend etwas Unausdenkbares tun, so steigt es mir zu Kopf. Etwas, weißt du, was wert ist, daß man hier im Schlamassel gelegen hat. Ich kann mir bloß nichts vorstellen. Was ich an Möglichem sehe, diesen ganzen Betrieb mit Beruf und Studium und Gehalt und so weiter – das kotzt mich an, denn das war ja immer schon da und ist widerlich. Ich finde nichts – ich finde nichts, Albert.«
    Mit einemmal scheint mir alles aussichtslos und verzweifelt.
    Kropp denkt ebenfalls darüber nach. »Es wird überhaupt schwer werden mit uns allen. Ob die sich in der Heimat eigentlich nicht manchmal Sorgen machen deswegen? Zwei Jahre Schießen und Handgranaten – das kann man doch nicht ausziehen wie einen Strumpf nachher.«
    Wir stimmen darin überein, daß es jedem ähnlich geht; nicht nur uns hier; überall, jedem, der in der gleichen Lage ist, dem einen mehr, dem andern weniger. Es ist das gemeinsame Schicksal unserer Generation.
    Albert spricht es aus. »Der Krieg hat uns für alles verdorben.«
    Er hat recht. Wir sind keine Jugend mehr. Wir wollen die Welt nicht mehr stürmen. Wir sind Flüchtende. Wir flüchten

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