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Im Wettbüro des Teufels

Im Wettbüro des Teufels

Titel: Im Wettbüro des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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dem ersten Stock, also
hinter dem Treppenabsatz, aber nicht sichtbar, fragte Irene: „Ja, bitte?“
    „Wir sind’s“, erwiderte Tim.
„TKKG.“
    „Was? So schnell?“, rief sie und
kam ein paar Stufen entgegen.
    „Weißt du nicht, dass wir als
Nothilfe-Kurierdienst gedankenschnell sind? Wie geht’s?“
    „Ich arbeite heute nicht. Ich
lecke meine Wunden.“
    Die sehen eher gepudert aus,
dachte Tim, oder mit Make-up überpinselt. Jedenfalls würde kein Café-Gast
Anstoß an diesen Blessuren nehmen. Egal, Irene schaltet einen blauen Montag
ein, auch wenn heute Samstag ist.
    Irene bat das Trio herein,
begrüßte Gaby und Karl und fragte, ob die drei Kaffee wollten, denn sie hatte
gerade für sich aufgebrüht.
    Die drei wollten nicht, nahmen
aber Platz und blickten gespannt.
    Irene trug einen winterwarmen
Jogginganzug — sozusagen als Home-Dress — und setzte sich ihnen gegenüber. Tim
registrierte, dass das Sweatshirt eine Kapuze hatte — und fand das übertrieben,
denn die Zwei-Zimmer-Wohnung war gemütlich und warm, lag allerdings
gassenseitig — und die Fenster hatte sicherlich noch nie ein Sonnenstrahl
berührt.
    Irene begann ihre Finger zu
kneten und senkte den Kopf.
    Sie weiß nicht, wie sie
anfangen soll, dachte Tim und tauschte mit seinen Freunden einen Blick. Sie
benimmt sich, als hätte sie Schulden bei uns — und nicht Klößchen bei ihr.
    „Ich meine Egon Voigt“, sagte
sie. „Du hast ihn kennengelernt, Tim. Der nette Herr, der mich an der
Bushaltestelle mitgenommen hat.“
    Tim nickte. „Ich habe ihn
gesehen.“
    „Ich mag ihn recht gern. Ich
glaube, er kommt meinetwegen ins Café. Nur wegen mir! Das finde ich toll. Das
schmeichelt mir. Und er ist doch ein großartiger Typ, nicht wahr?“
    „Hm“, machte Tim.
    „So was darfst du unseren
Häuptling nicht fragen“, schaltete sich Gaby ein. „Männer können Männer nicht
beurteilen. Jedenfalls nur aus ihrer engen Sicht: Ob sie Leistung bringen,
Erfolg haben, zuverlässig sind, wetterfest, verschwiegen und cool. Einen tollen
Typ aus unserer Sicht können nur wir beurteilen. Mir müsstest du den Egon Voigt
mal zeigen.“
    Irene lächelte erfreut. „Mache
ich.“
    „Ist er blond oder dunkel?“
    „Blond. Aber er hat so was
Melancholisches im Blick.“
    „Aha!“, nickte Gaby.
    „Ich nehme mal an“, lenkte Tim
aufs Thema zurück: „Ob Schweinebacke oder Krawatten-Django — das ist
hinsichtlich des Herrn Egon nicht dein Problem, Irene. Sondern was?“
    Sie nickte heftig. „Ich muss...
das nur ein bisschen begründen, warum ich mich so für ihn erwärme. Sonst denkt
ihr, ich wäre blöd. Es ist einfach... ich glaube, er wohnt noch nicht sehr
lange in der Stadt. Und hier — unter mehr als einer Million Menschen — kann man
sein Leben lang ein Fremder bleiben.“
    „Vielleicht hat er deshalb“,
sagte Karl, „diesen melancholischen Blick. Aber fremd fühlen kann man sich
überall: im Ausland, in Deutschland — ja, besonders hier, wenn man keine
germanischen Altvorderen hat im Betrieb, sogar in der Familie. Der Herr Egon
sollte sich trösten und etwas fröhlicher blicken.“
    „Also“, Tim wurde ungeduldig,
„was ist nun mit ihm?“ Irene schluckte. „Er... fragte mich vorhin — vor einer
Stunde — , ob ich einen Rechtsanwalt kenne — persönlich kenne — , dem ich
vertrauen könnte. Nun ja, ich kenne eine Anwältin. Dr. Karla-Maria Ainspruch.
Sie hat mich damals vertreten, als ich in den Unfall verwickelt war.“
    Erwartungsvoll sah sie die Kids
an, aber die hatten keine Ahnung.
    „Ich bin geradelt“, erklärte
Irene. „Es war vor drei, nein, vier Jahren. Ja, vor vier Jahren. Da hat mich
ein Autofahrer gestreift. Rad kaputt. Knie verletzt. Hose zerrissen. Schmerzen.
Ein verstauchtes Handgelenk. Ich war im Recht. Aber der Typ hat das bestritten.
Doch bei Frau Ainspruch war meine Sache in den besten Händen. Übrigens stand
der Fall in der Zeitung. Es waren zwar nur fünf Zeilen. Aber ich dachte, ihr
hättet es gelesen.“
    „Damals war ich noch nicht
hier“, erklärte Tim. „Gaby und Karl konnten zwar schon etwas lesen, aber die
Tageszeitung hätte sie überfordert.“
    Irene lächelte. Karl verdrehte
die Augen. Gaby beugte sich zu ihrem Freund, ergriff seine Hand und biss in
seinen rechten Daumen.
    Tim jaulte auf. An Irene
gewandt meinte er: „Hast du mal ein Heftpflaster — damit ich nicht den Teppich
voll blute?“
    „Lass ihn bitte verbluten“,
sagte Gaby zu Irene.
    „Aber mein Teppich!“,

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