Im wilden Meer der Leidenschaft
hervorragende Arbeiterin war, der die Aufgaben in einem Wirtshaus ehrlich zu gefallen schienen.
„Besonders jetzt, wo die Stadt voller Leute ist, die Zuflucht vor dem Sturm suchen. Ich habe gehört, dass sich oben auf der Festung sogar eine spanische Gräfin aufhält! Ich glaube, wir brauchen mehr Fleisch, Señora, wenn wir genug Essen für alle Gäste vorbereiten wollen“, sagte Delores. „Ich habe den letzten Rest für den Eintopf verbraucht.“
„Dann werde ich gleich selbst zum Markt gehen“, antwortete Bianca. Sie verspürte plötzlich das dringende Bedürfnis, die Taverne hinter sich zu lassen. Da sie nicht ernsthaft in den Dschungel und ins wilde, undurchdringliche Innere der Insel fliehen konnte, würde sie wenigstens zum Markt auf der Plaza gehen. Die warme Morgenbrise würde ihr helfen, wieder klare Gedanken zu fassen, und sie war dann auch nicht in Balthazars Nähe. „Behalte du unseren Verwundeten im Auge.“
Delores’ Miene hellte sich auf. „Aber gern, Señora!“
„Nur keine übertriebene Fürsorge!“, warnte Bianca sie. Sie ließ Delores in der Küche weiterarbeiten und trug das Tablett mit Wasser und Verbandmaterial nach oben. Zögernd blieb sie vor der Tür stehen und horchte, ob sich drinnen in der Kammer etwas regte. Nach allem, was letzte Nacht vorgefallen war, konnte sie nicht im Geringsten sicher sein, ob sie nicht sogar im hellen Tageslicht Balthazars Anziehungskraft erliegen würde.
Bei der Erinnerung an die feuchte Hitze der letzten Nacht und an die Berührung seiner rauen Seemannshand auf ihrer nackten Haut schloss Bianca die Augen. Die undurchdringliche Panzerung, mit der sie ihr Herz seit so vielen Jahren umhüllt hatte, schien einen Riss bekommen zu haben. Doch das konnte sie nicht zulassen. Sie konnte es sich nicht erlauben, verwundbar zu sein.
Hinter der Tür war alles still, die Ruhe eines frühen Morgens. Sie schlüpfte in ihre Kammer und sah, dass Balthazar noch tief und fest schlief. Es schien kein ruhiger Schlaf gewesen zu sein; die Betttücher waren zerwühlt und durcheinander, und er lag mit ausgestreckten Armen da, als habe er im Traum kämpfen müssen.
Sie erinnerte sich an seine Schreie und sein Gemurmel in der Nacht, in der er offensichtlich Albträume gehabt hatte. Sie stellte das Tablett auf den Tisch und ging auf Zehenspitzen zum Bett hinüber. Sie blickte ihn aufmerksam an, um zu sehen, ob er fiebrig schien. Eine tiefe Falte zog sich über seine Stirn, aber er schien fest zu schlafen. Das Blut aus seiner Wunde hatte den Verband rotbraun getränkt, aber sie sah keine gelblichen Spuren einer Entzündung.
Vorsichtig strich sie ihm sein wirres Haar aus dem sonnengebräunten Gesicht und betrachtete seinen kleinen goldenen Ohrring, der im Sonnenlicht glitzerte. Sie dachte an die Perlen und die Diamanten, die er in Venedig getragen hatte, den edlen Schmuck, der sein Äußeres in so vollkommener Weise zur Geltung gebracht hatte.
Bianca sah hinüber zu seinen Kleidern, die sie über den Stuhl geworfen hatte; seine lederne Weste, das zerrissene Hemd und die abgewetzten hohen Stiefel. Auch die feinen Seidenstoffe waren mit den Juwelen abhanden gekommen.
„Was hast du in den letzten Jahren bloß getrieben, Balthazar Grattiano?“, flüsterte sie. „Und was in Gottes Namen machst du hier ?“
Er stöhnte im Schlaf auf und rollte sich auf die Seite, sodass er ihr den Rücken zukehrte. Bianca deckte ihn vorsichtig zu, darauf bedacht, ihn nicht aufzuwecken. So sehr sie auch Antworten auf ihre Fragen wünschte – nein, brauchte –, so sehr fühlte sie sich noch nicht imstande, ihm wieder gegenüberzutreten. Zuerst musste sie den Riss im Schutzwall ihres Herzens wieder verschließen.
Schnell wusch sie ihr Gesicht und bürstete ihre Haare, bevor sie die widerspenstigen Locken unter einer gestrickten Haube verbarg. Sie zog ein einfaches braunes Mieder an und einen leichten Wollrock sowie ein Paar kräftiger Schuhe. Nein, mit einer eleganten Dame aus Venedig hatte sie wahrlich nichts gemein, dachte sie, als sie sich im Spiegel betrachtete und ihren breitkrempigen Strohhut unter dem Kinn festband. Sicherlich würde Balthazar sie nie küssen, wenn er sie so in ihrer alltäglichen Erscheinung sah! Aber für den Markt war ihr Aussehen allemal gut genug.
Und wenn sie zurückkam, würde sie hoffentlich wissen, was sie mit diesem Mann, der in ihrem Bett schlief, tun sollte.
5. KAPITEL
Bianca hängte sich ihren Einkaufskorb über den Arm, verließ rasch das Wirtshaus und
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