Im wilden Meer der Leidenschaft
dachte sie an Venedig und an die Erzählungen ihrer Mutter über festliche Bankette in den großen Palazzi. Über lange, damastgedeckte Tische, die sich unter Servierplatten mit Hühnchen mit Amorosa-Tomaten, Forellen mit Lauch in Zitronensauce, Kapaunen, saftigen Erdbeeren, hellen Majolika-Schüsseln mit feinstem Konfekt und Kelchen gefüllt mit exquisiten Weinen, bogen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die Hunderte von Kerzen, die die silbernen und goldenen Teller in einen warmen Schein tauchten, und die Satinkleider und Juwelen der vornehmen Gäste. Diese Erzählungen waren ihr immer wie Märchen vorgekommen, denn diese Welt war so weit von ihrem einfachen Haus in einer kleinen Seitengasse entfernt wie die Götter auf dem Olymp!
Und von hier aus betrachtet noch viel weiter. Ja, es schien eine völlig andere Welt. Kapaun wurde nicht bei ihr serviert, sondern nur Schweinekeule und gerösteter Maniok, und es gab Rum und Bier anstelle von Wein.
„Haben Sie schon gehört, Señora Montero?“, fragte einer der Händler, dessen Gemüse sie in Augenschein nahm. „Eines der Lagerhäuser wurde letzte Nacht überfallen! Ich hoffe, wir haben es nicht schon wieder mit Piraten zu tun.“
„Besonders jetzt, da sich eine Gräfin in der Festung aufhält“, fügte seine Frau hinzu. „Sie soll eine sehr enge Freundin von Señor de Alameda sein …“
Bianca ließ sich angemessen darüber aus, wie schockierend dies doch sei, war aber noch immer ganz in ihren eigenen Gedanken. Sie hatte lange nicht mehr an ihr Zuhause gedacht. Es war besser für sie, sich nicht den Erinnerungen hinzugeben, denn ihr Leben, ihre Wirklichkeit, spielte sich nun hier ab. Die bittersüße Schönheit Venedigs, des Juwels der alten Welt, war für sie ebenso verloren wie es ihre Mutter war. Und wie die Münzen des Lagerhauses an „Piraten“ verloren waren.
Sicherlich kamen ihr diese Gedanken nun wegen Balthazar. Seinetwegen fühlte sie sich plötzlich so verwirrt und voller Ungewissheit. So …
Und es waren diese Erinnerungen, die in ihr den unsinnigen Wunsch erweckten, ihm gebackenen Pfau anstelle eines Eintopfs zu servieren. Dabei sollte sie sich keinen Deut darum scheren, was dieser Mann aß, wohin er ging oder was er tat. Und was er in den letzten sieben Jahren getrieben hatte.
Sie sollte ihm den Eintopf über seinen gut aussehenden Kopf schütten und ihn zur Tür hinausjagen.
Sie musste lachen, als sie sich vorstellte, wie die dunkle, fettige Brühe an Balthazars Gesicht herunterlief. Was auch immer ihm in den letzten Jahren zugestoßen war, etwas so Würdeloses war ihm sicherlich noch nicht passiert.
Als sie sich mit ihrem schweren Korb auf der Hüfte auf den Nachhauseweg machte, dachte sie daran, was Mendoza gesagt hatte. Vor fast sieben Jahren hatte Balthazar begonnen, zur See zu fahren. Das bedeutete, dass er Venedig kurze Zeit nach ihrer Flucht verlassen hatte. Aber warum?
Ein weiteres Rätsel, das es zu lösen galt. So viele umgaben Balthazar, dass das nun leere Lagerhaus damit gefüllt werden könnte. Doch sie war eine geduldige Frau; mit der Zeit würde sie alles herausfinden, und dann würde sie wissen, was sie zu tun hatte. Aber jetzt musste sie erst einmal ihre Arbeit erledigen. Die Sonne stand schon hoch am wolkenlosen Himmel, und die Zeit rannte ihr davon.
Auch Balthazar Grattiano durfte sich nicht einfach so in ihr Leben einmischen.
Doch als sie an der Befestigungsmauer entlang hastete, auf der sich mittlerweile eine Menge Leute versammelt hatten, um mehr über den Diebstahl der letzten Nacht zu hören, konnte sie sich einen Blick auf die Bucht, in der die Calypso lag, nicht verkneifen. Ihr fiel auf, dass es kein allzu großes Schiff war. Sie sah eine mittelgroße Karavelle, die vielleicht siebzig Fuß lang und fünfundzwanzig Fuß breit war. Sobald ihr Großmast intakt war, würde sie wieder das Rahsegel am Hauptmast und am Fockmast hissen können, sowie das Lateinersegel am Kreuzmast gleich achtern des Besanmasts.
Es war kein auffällig prächtiges oder beeindruckendes Schiff, besonders jetzt nicht, da ihm die Sturmschäden noch anzusehen waren. Aber nach den Jahren, die sie mit Juan verbracht hatte, konnte Bianca die Tauglichkeit eines Schiffs einschätzen. Für Juan waren Karavellen „die besten Schiffe, um das Meer zu durchsegeln“, und diese hier war ein besonders fähiges Exemplar. Von leichtem Bau und vielseitig, konnte sie mit einem geschickten Kapitän am Ruder überall und in jeder Wetterlage segeln, sogar
Weitere Kostenlose Bücher