Im wilden Meer der Leidenschaft
bei Seitenwind. Aufgrund ihres Achterruders und ihrer Lateinersegel musste sie besonders flink und wendig sein – besonders in den Händen eines herausragenden Seemanns wie Balthazar.
Bianca zweifelte nicht daran, dass Balthazar ein fähiger Kapitän war, der ein Schiff genauso führen konnte wie er eine Frau um den kleinen Finger wickelte.
Aber Bianca war entschlossen, seinem Bann nicht zu unterliegen. Weder jetzt noch in Zukunft.
6. KAPITEL
Balthazar biss die Zähne zusammen, um den Schmerz in seiner Schulter ertragen zu können, während er sich vorsichtig ein sauberes Hemd über den Kopf zog. Er sagte sich, dass seine Verletzung im Vergleich zu anderen, die er schon abbekommen hatte, lediglich ein Kratzer war. Die Wunde blutete nicht einmal mehr dank Biancas sorgsamer Behandlung.
Bianca Simonetti. Bianca Montero, wie sie jetzt zu heißen schien. Balthazar schnürte sein Hemd zu und dachte an das Mädchen, das er damals in Venedig gekannt hatte. Sie war recht hübsch gewesen, wenn auch zu dünn und sehr einfach gekleidet. Er erinnerte sich an ihr schüchternes Lächeln und daran, dass sie es kaum gewagt hatte, ihm in die Augen zu sehen, wenn er mit seinem Vater zum Haus ihrer Mutter kam. Aber er hatte sie gemocht. Die intelligenten Unterhaltungen, die man mit ihr führen konnte, ihre Fragen über seine Bücher zur Seefahrt und Geographie machten ihm die lästigen Besuche erträglich. Irgendwann hatte er sich sogar gefreut, wenn sein Vater darauf bestand, dass er ihn zu diesen lächerlichen Tarot–Sitzungen begleitete, denn das bedeutete, dass er mit Bianca reden konnte.
Er kannte viele Frauen in Venedig, Frauen von großer Schönheit und bezauberndem Charme. Bianca Simonetti besaß keine dieser Eigenschaften, aber ihre dunklen Augen faszinierten ihn, und sie war voller Wissbegier und einer unbestimmten Sehnsucht, die er von sich selbst kannte. Sie hörte ihm zu, hörte ihm wirklich zu, was er nicht von seinen üblichen Gesprächspartnern gewöhnt war. Und nicht nur das, sie regte ihn mit ihren Fragen und Bemerkungen, die ihm immer neue Einsichten brachten, auch zum Nachdenken an.
Doch dann war sie verschwunden – sie und ihre Mutter angeblich tot, wie ihm gesagt wurde. Und sein eigenes Leben war kurz darauf in einer einzigen dramatischen Nacht in tausend Trümmer zersprungen. Er war gezwungen gewesen, sich auf See eine neue Existenz aufzubauen. Und über die Jahre, als er neue Ufer erkundete, war Bianca Simonetti zu einer schmerzlichen Erinnerung geworden – einer von vielen.
Nachdem sie ihm ihren Namen gesagt hatte, konnte er das Mädchen, das er gekannt hatte, wieder im Gesicht der Frau erkennen, die vor ihm stand; in ihren braunen Augen, die nun so hart und misstrauisch schienen. Auch sie hatte sich eine neue Existenz aufbauen müssen. Und nun hatten sich ihre Lebenswege wieder gekreuzt, und sie hatte ihn gerettet.
Balthazar sah sich in der Kammer um. Sie war kaum größer als seine Kabine auf der Calypso und bot lediglich Platz für ein Bett, einen Tisch und einen Stuhl und eine verschrammte alte Seemannstruhe. Die Wände waren weiß getüncht, und das Fenster stand hinter den geschlossenen Läden halb offen, um die Morgenbrise hereinzulassen. Teppiche oder Gemälde gab es keine. Auch samtene Kissen oder kleine Kästen aus Elfenbein suchte man vergebens.
Die Taverne unten war genauso einfach und zweckdienlich eingerichtet, wenn auch sauberer als die meisten, die er auf den Inseln aufgesucht hatte. Was auch immer sie in den letzten Jahren erlebt hatte, sie arbeitete offensichtlich hart für ihren Lebensunterhalt. Das erwartungsvolle und wissbegierige Mädchen, das er gekannt hatte, gab es nicht mehr, und das Licht in ihren außergewöhnlichen Augen war von verhaltenem, unterschwelligem Zorn getrübt.
Zumindest bis sie in der Dunkelheit der Nacht allein waren.
Balthazar ging hinüber zum Fenster und blickte hinaus. Santo Domingo erstreckte sich vor seinen Augen im hellen Tageslicht der gleißenden Sonne, die auf den Hafen sowie die umliegenden Berge schien. Fast sah die Siedlung wie eine beliebige Hafenstadt in Spanien aus, mit ihren dunkelroten Dächern, dem Glockenturm der neuen Kathedrale und dem Wald von Schiffsmasten, die aus dem geschützten Hafen emporragten. Aber am Stadtrand, an der Grenze dieser zerbrechlichen jungen Zivilisation lauerte der dunkle Dschungel.
Balthazar hatte Santo Domingo eigentlich nicht anlaufen wollen. Die Stadt war für seinen Geschmack inzwischen zu dicht
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