Im wilden Meer der Leidenschaft
nächsten Tag mit mehr Männern zurückzukommen, um ihn zur Calypso zu begleiten. Ausnahmsweise hatte die Mannschaft sich seinen Anordnungen widersetzt und weigerte sich, ihn allein durch Santo Domingo laufen zu lassen. Diego Escobar war noch immer unauffindbar und war auch nicht in der Nähe des Schiffs gesichtet worden. Er lief noch immer frei herum, erfüllt von seiner schwelenden, mörderischen Wut.
Und er war vielleicht nicht der Einzige, der diesen Hass gegen ihn hegte, dachte Balthazar, als er Biancas leichte Schritte auf der knarrenden Treppe hörte. Das unschuldige Verlangen des jungen Mädchens war aus ihren Augen verschwunden, aber dafür hatte er darin einen neuen Ausdruck gesehen, den er nur allzu gut kannte.
Zorn. Kaum unterdrückter, gegen ihn gerichteter Zorn.
Leise öffnete sie die Tür und schloss sie ebenso. Kein lautes, wütendes Zuschlagen. Ohne ihn eines Blicks zu würdigen, hängte sie ihren Hut an einen Haken und sah in den kleinen Spiegel. Ihre hohen Wangenknochen hatten sich blassrosa gefärbt, und dies war das einzige wahrnehmbare Zeichen ihrer Gefühle.
Sie steckte einige lose Locken wieder zurück in ihr Netz, und er dachte daran, wie ihr Haar letzte Nacht ausgesehen hatte. Eine wilde Mähne, die ihr über die Schultern fiel.
„Ihr seid wach“, sagte sie. „Und angezogen. Es scheint Euch besser zu gehen.“
„Mendoza hat mir meine Sachen vom Schiff gebracht“, antwortete er genauso zurückhaltend wie sie. „Ich werde Eure Gastfreundschaft nicht mehr lange in Anspruch nehmen müssen, Señora Montero.“
Ihr Blick im Spiegel richtete sich auf ihn, und ihre langen Wimpern verbargen ihre Gedanken. „Ich sollte einen Blick auf Eure Wunde werfen. Wenn Ihr zu schnell aufsteht, könnte sie sich wieder öffnen, und dann wären alle meine Bemühungen umsonst gewesen.“
Balthazar lachte. „Jawohl, Frau Doktor. Ich würde es nie wagen, Euren Anweisungen nicht zu gehorchen.“
„Eure Männer brauchen Euch, oder etwa nicht? Ihr müsst so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen.“ Sie bedeutete ihm, sich auf den Bettrand zu setzen und stellte sich zwischen seine Beine.
Er zuckte mit den Schultern. „Meine Steuermänner können die Calypso genauso gut lenken wie ich.“
„Das ist nicht das, was ich gehört habe.“
„Ach nein? Was habt Ihr denn gehört?“
Bianca beugte sich über ihn und schnürte mit ihren schlanken Fingern geschickt sein Hemd auf. Ihre Bewegungen waren schnell und behutsam, als habe sie schon öfter Kranke versorgt, doch er sah, dass der Anflug eines Lächelns ihren Mund umspielte.
Er fragte sich, womit man sie zum Lächeln oder gar zu einem herzhaften Lachen bringen könne. Womit man ihre Leidenschaft erweckte, die er letzte Nacht für einige allzu kurze Augenblicke gespürt hatte, als sie in seinen Armen lag.
„Mir wurde gesagt, dass Ihr magische Kräfte besitzt“, sagte sie, während sie vorsichtig sein Hemd hochzog und seinen Verband löste. „Dass Ihr ein Schiff durch jeden Sturm steuern könnt. Dass Ihr unter allen Umständen Kurs halten und jedes Meer in kürzester Zeit überqueren könnt.“
Balthazar schnaubte ungläubig, obwohl er sich im tiefsten Innern über diese Einschätzung freute. Gerüchte über seine angebliche Stärke und Unbesiegbarkeit, sei es nun durch Zauberkraft oder nicht, hielten Piraten und Feinde davon ab, sein Schiff anzugreifen. Dank dieser Erzählungen heuerten die besten Seemänner auf seinem Schiff an, und selbst die habgierigsten Zollbeamten ließen seine Ladungen unbehelligt.
Aber er hatte das Gefühl, dass Bianca ganz und gar nicht beeindruckt war.
„Ich kann mit dem Sternenhöhenmesser und mit dem Kompass umgehen“, erwiderte er. „Ich kann Karten lesen. Mein Schiff ist gut konstruiert, schnell und stabil. Jeder Seemann, der seinen Rum wert ist, lernt, das Wasser, die Wolken und die Windrichtung zu deuten.“
„Einige lernen es besser als andere.“ Sie deutete auf Balthazars kleine Truhe, die Mendoza von der Calypso gebracht hatte. „Eure Männer sind Euch ergeben. Ich habe eben Señor Mendoza in der Stadt getroffen; er macht sich große Sorgen um Euch.“
„Mendoza ist schon seit Langem in meiner Mannschaft. Er ist ein exzellenter Quartiermeister.“
„Er sagte mir, dass Ihr ein hervorragender Kapitän seid.“
„Meuterei und Meinungsverschiedenheiten sind eine große Gefahr auf See, Señora Montero. Den blutigen Ausgang solcher Streitigkeiten müsst Ihr in Santo Domingo sicherlich oft
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