Im wilden Meer der Leidenschaft
nur kalte Asche und die Erkenntnis, dass es in dieser Welt nichts Gutes mehr gab.
Diego ballte die Fäuste auf der Reling und erinnerte sich an das Gefühl, das in ihm aufgestiegen war, als sich sein Dolch endlich in Grattianos Körper gebohrt hatte, als endlich sein Blut floss. Wie lange hatte er auf diesen Moment gewartet, wie oft war er ihn in Gedanken durchgegangen! Doch die Wirklichkeit war anders verlaufen. Seine Tat hatte ihm keine Befriedigung verschafft. Sie erweckte seine Frau nicht wieder zum Leben. Sie stellte nicht einmal seine Ehre wieder her, die er verloren hatte, als er sich den Piraten angeschlossen hatte.
Er erinnerte sich auch an die Frau in der Taverne. Ihre braunen Augen waren wachsam, doch voller Güte, als sie ihn über den Tresen hinweg angesehen hatte. Er konnte darin lesen, dass auch sie harte Zeiten und Verluste erlebt hatte. Offensichtlich hatte sie gespürt, dass er irgendetwas im Schilde führte. Ein Wirt an einem Ort wie Santo Domingo musste einen sechsten Sinn für Gefahr entwickeln. Doch sie hatte ihn nicht abgewiesen. Diese kleine Geste der Freundlichkeit war die erste, die ihm seit Langem zuteil geworden war, und es tat ihm leid, diesen Aufruhr in ihrer Taverne verursacht zu haben.
Doch anders wäre er nicht an Grattiano herangekommen. An Bord seines Schiffs, seines kleinen Königreiches, war der Mann unbezwingbar. Auf See konnte Diego ihn trotz aller seiner Anstrengungen nicht besiegen. Er hatte die Gelegenheit in Santo Domingo nutzen müssen, und er hatte es trotz der gütigen Augen der Besitzerin getan.
Jetzt schmorte Grattiano in der Hölle. Und Diego würde ihm sicherlich bald dorthin folgen.
Er hörte ein Geräusch hinter sich, Schritte auf dem Deck, und als er sich umdrehte, sah er Mauro, den ersten Offizier seines neuen Schiffs, der Firebrand . Die Firebrand konnte der Calypso nicht das Wasser reichen und war bei Weitem nicht so straff geführt und so flink wie Kapitän Grattianos Schiff. Sie war älter, und ihre Mannschaft bestand aus Männern, die sich weniger durch ihre seemännischen Fähigkeiten als durch ihre Gier nach Gold auszeichneten. Ihr Ziel war es, Reichtümer anzuhäufen und zu plündern, und sie folgten Diego, da dieser noch skrupelloser war als sie selbst.
So hatte Diego sich sein neues Leben nicht vorgestellt, als er vor Jahren Spanien verlassen hatte, um sein Glück, um Abenteuer und Anerkennung in der neuen Welt zu suchen. Nun blieb ihm nur noch die Piraterie.
„Sollen wir in Tortuga anlegen, Käpt’n?“, fragte Mauro.
Natürlich, die dunkle Landmasse, die Diego vor sich sah, war Tortuga, eine gesetzlose Insel, die selbst der spanische König nicht unter seine Herrschaft zu zwingen versuchte. Ein Zufluchtsort für Mörder und Räuber. Wozu er und die Mannschaft der Firebrand gehörten.
„Aye“, antwortete Diego. „Die Männer können es bestimmt kaum erwarten, ihre neuen Reichtümer unter die Leute zu bringen.“
Mauro verzog das Gesicht zu einem hässlichen Grinsen, das seine gelben Zähne entblößte. „Darauf könnt Ihr wetten“, sagte er selbstzufrieden. Während Diego sich an Balthazar Grattiano gerächt hatte, waren einige seiner Männer in die ungeschützten, kleineren Lagerhäuser Santo Domingos eingebrochen und mit ihrer Beute entkommen. Solche kleinen, unspektakulären Überfälle beschäftigten die Männer und hielten sie von gewalttätigeren Aktionen ab. Bis jetzt jedenfalls.
Diego blickte wieder hinüber zur Insel, der sie sich jetzt schnell näherten. Er konnte schon das Flackern der Lichter in den Bordellen und Tavernen sehen, die sie gleich willkommen heißen würden. Dies war nun sein Zuhause.
Es war ein angemessener Unterschlupf für einen Mann, der seine Seele verloren hatte.
9. KAPITEL
Es war schon spät in der Nacht, bevor Bianca die Tür des Wirtshauses verriegelte und sich anschickte, nach oben zu gehen, während die gähnende Delores die Kerzen löschte. Draußen von der Gasse hörte sie noch betrunkenes Grölen und Lachen, doch drinnen war nun Ruhe eingekehrt.
Sie zog ihre Schuhe aus und ging auf Zehenspitzen die Treppe hinauf, damit die verzogenen Holzstufen nicht knarrten. Sie blieb vor der Tür ihrer Kammer stehen und lauschte. Balthazar schlief noch immer dort, nachdem seine Männer hitzig darüber diskutiert hatten, ob es vernünftig sei, ihn schon wieder hinüber zum Schiff zu tragen, und entschieden hatten, es sei noch zu früh.
Diese Nacht war er noch bei ihr, bevor er morgen wieder aus ihrem Leben
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