Im wilden Meer der Leidenschaft
voller Liebe und Licht nach so vielen dunklen Momenten. Er konnte sich für kurze Zeit an ihrer Zuneigung erwärmen, doch er selbst war dort nicht zu Hause.
Genauso wenig, wie er je im kalten marmornen Palazzo seines Vaters zu Hause gewesen war.
Balthazar kehrte Santo Domingo den Rücken zu und wandte sich in Richtung des Meeres. Mendoza stand am Ruder, und ein leichter Wind blähte die Segel und trieb sie mit der Strömung aufs offene Meer. Am ehesten war noch dieses Schiff sein Zuhause. Nichts war ihm vertrauter als die Calypso , vom Holz des Schiffsdecks bis hin zu ihren Segeln. Oft hatte er das Gefühl, das Salzwasser des Ozeans flösse in seinen Adern. Als er dem spanischen Händler Vista Linda abgekauft und sein Haus auf dem höchsten Hügel der Insel gebaut hatte, dachte er, dies könne sein Zuhause sein. Und tatsächlich fühlte er sich dort geborgen und in Sicherheit.
Doch sein eigentliches Zuhause waren noch immer das Meer, die weite Welt und seine rastlose Freiheit.
Normalerweise war er voller Euphorie, wenn er die Segel setzte. Er liebte sein ungewisses Abenteurerleben. Doch während er heute die lädierte Calypso in Richtung Vista Linda steuerte, drehten seine Gedanken sich ausschließlich um Bianca Simonetti.
Er stützte sich auf die Reling und starrte hinunter in das smaragdgrüne Wasser, in dem sich Biancas Gesicht zu spiegeln schien. Ihre großen, wachsamen braunen Augen, die schmale Silhouette ihres Körpers unter dem dünnen Bettlaken.
Sie hatte geschlafen, als er sie in der Morgendämmerung verlassen hatte, und zusammengerollt auf dem Bett gelegen, das sie geteilt hatten. Auf ihrer Stirn hatte sich eine Falte gebildet, als ob sie sich auch im Schlaf Sorgen mache. Sie hatte sich nicht gerührt, als er sich über sie gebeugt und sie zärtlich geküsst hatte. Er sah sie ein letztes Mal an und wollte sich jede Kurve ihres Körpers, jede Sommersprosse, jeden ihrer Atemzüge einprägen. Sie hatte gesagt, dass er sie wiedersehen könne, doch wer wusste schon, wann er dazu wieder die Gelegenheit haben würde. Sie lebten in höchst gefährlichen Gefilden, und mehr als ein wundersames, zufälliges Treffen konnte er nicht vom Schicksal erwarten.
„ Maledetto !“, knurrte er und hieb mit der Faust auf die Reling. Das Wunder war geschehen, er hatte Bianca wiedergefunden! Nach all diesen Jahren und entgegen aller Wahrscheinlichkeit. Und die Leidenschaft, die sie in ihm erweckt hatte, war … neu und unbeschreiblich.
Und doch war er gegangen. War vor dem Zorn und den unbequemen Fragen, die er in ihren Augen lesen konnte, geflohen, zurück zur kalten Sicherheit, die ihm das Meer bot.
Balthazar warf einen Blick zurück und sah, dass Hispaniola bald am Horizont verschwinden würde. Auch das Wasser war schon nicht mehr ein warmes Blaugrün, sondern wurde allmählich tiefblau mit weißen Kronen. Bald würde er Bianca für immer verloren haben.
Plötzlich drehte er sich um und öffnete den Mund, um seinen Männern die Anweisung zu erteilen umzukehren. Doch sein Schrei ging im Lärm eines Tumults unter, der aus dem Frachtraum durch die offene Luke auf Deck drang.
Dies war nicht der übliche Lärm auf einem gerade in See gestochenen Schiff, nicht das Rasseln der Flaschenzüge, das Rauschen der windgepeitschten Segel, nicht die vom Ausguck heruntergebrüllten Richtungsanweisungen, die Wellen, die sich beständig am Rumpf brachen. Die Luke sollte jetzt noch gar nicht geöffnet sein, denn unter Deck waren alle ihre Vorräte und ihre Fracht sorgfältig verstaut.
Und doch sah er Luis, den Bootsmann und Lotsen, aus dem Frachtraum heraussteigen und unablässig fluchend ein Bündel hinter sich herziehen. Die umstehenden Matrosen hielten in ihrer Arbeit inne und platzten fast vor Neugier, wollten unbedingt erfahren, was sich dort Unerwartetes auf Kapitän Grattianos streng geführtem Schiff abspielte.
Auch Balthazar blickte mit finsterem Gesicht hinüber. Nun zog Luis auch den letzten Zipfel des Bündels, das aus braunem Stoff zu bestehen schien, an Deck, knallte es auf den Boden und verpasste ihm einen heftigen Tritt.
Das Bündel schrie auf. „Mieser Hurensohn!“, war laut und deutlich zu vernehmen.
Und Balthazar sah, dass dort kein Stoffbündel lag, sondern ein Junge. Langsam schritt er die Stufen zum Hauptdeck hinunter und inspizierte mit verschränkten Armen die magere Figur, die in einer braunen Wollhose und einem Wams steckte, mit tief ins Gesicht gezogener schwarzer Kappe. Es war nicht ungewöhnlich,
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