Im wilden Meer der Leidenschaft
Grund bin ich deiner Meinung nach da?“, flüsterte Bianca.
„Aus diesem.“ Und er küsste sie. Sein Kuss war ihr vertraut, sie kannte nun die Form seiner Lippen, wusste, wie er schmeckte und wie perfekt ihre Körper zusammenfanden. Es war, als würden sie schon seit ewigen Zeiten zusammengehören, als sei dieses tiefe gegenseitige Verlangen etwas Naturgegebenes, dem sie sich nicht entziehen konnten.
Und doch fühlte sich ihre Umarmung diesmal völlig neu und anders an. Sie hatte angenommen, dass ihre intime Vereinigung in Santo Domingo das alte Verlangen, die alten Träume gestillt habe. Doch davon war sie weit entfernt. Ihre Leidenschaft war neu entfacht und brannte heißer als zuvor.
Bianca ergriff seine Schultern und ließ ihre Hände seinen muskulösen Rücken hinuntergleiten bis zu der Stelle, an der er sich teilte, und zog ihn noch näher an sich heran. Der Boden unter ihr schwankte … War es das Schlingern des Schiffs auf hoher See? Oder bekam ihre vertraute Welt Risse und formte sich neu?
Sie schlang die Beine um seine Hüften und drückte sich fest an ihn. Diese Vertrautheit zwischen ihnen schien trotz aller Hindernisse, aller Schmerzen und allen Hasses, und trotz allem, was zwischen ihnen noch ungesagt war, richtig und natürlich zu sein. Sie beide in leidenschaftlicher Umarmung auf der schmalen Koje, eingehüllt vom Geruch von Salzwasser und Teer und dem Knarren des Schiffs, das sich mit ihrem unterdrückten Stöhnen mischte. Hier und nicht im hochherrschaftlichen Venedig konnte ihre Vertrautheit sich ganz entfalten.
War dies also der wahre Balthazar, den sie in ihren Armen hielt? Sie wusste die Antwort selbst nicht. Und gab sich völlig seinem Kuss hin.
Da erklang genau über ihnen eine Glocke auf dem Achterdeck, die den Wachwechsel ankündigte. Bianca schreckte auf und löste sich von Balthazar. Sie warf einen Blick durch das einzige Bullauge der Kabine und sah, dass es draußen schon dunkler geworden war, ein gedämpftes Licht, dem ein seltsames Glitzern beiwohnte, wie man es nur auf hoher See erleben konnte. War denn schon so viel Zeit vergangen? Ihr kam es vor, als habe sie nur einen kurzen Moment mit Balthazar verbracht.
Er stand langsam auf und streckte sich zu seiner vollen Größe, wobei die Decke der Kabine nur wenige Zentimeter höher war als sein Kopf. Dann sah er Bianca an, und an seinem schnellen Atem erkannte sie, dass er genauso überrascht war wie sie.
„Ich muss wieder hoch an Deck“, sagte er. „Aber wenn ich zurückkomme, Bianca, möchte ich wissen, warum du wirklich hier bist.“
Bianca ließ sich zurück in die Koje fallen und sah ihm amüsiert dabei zu, wie er sein langes Haar zu ordnen versuchte. Er marschierte zur Tür und blieb kurz an der Schwelle stehen, ohne sich umzudrehen: „Und untersteh dich, diese Kabine zu verlassen.“
„Aber meine Truhe“, sagte sie. „Sie ist noch immer im Laderaum.“
„Ich lasse sie dir bringen.“
„Du willst bloß nicht, dass deine Männer Witze über deinen weiblichen blinden Passagier machen. Darüber, wie sie von deiner umwerfenden Männlichkeit an Bord gelockt wurde, und es nicht ertragen konnte, ohne dich zu leben …“
„Bianca!“, unterbrach er sie streng. Doch sie war sich sicher, ein unterdrücktes Lachen in seiner Stimme ausmachen zu können. „Ich könnte mir vorstellen, auch du würdest auf diese Art Kommentare lieber verzichten.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Das ist mir völlig gleichgültig. Ich bin nicht wegen deines besten Stücks hier, Balthazar Grattiano.“
Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen über seine Schulter hinweg an. „Ach, wirklich nicht?“
„Nein!“
„Aha. Dann vergiss bitte nicht, dass ich hören will, warum du tatsächlich hier bist, wenn ich zurückkomme.“
Und dann war er aus der Tür. Bianca hörte genau hin, aber er schien sie nicht einzuschließen. Er hatte wohl so viel Vertrauen in seine Autorität, dass er dachte, sein Befehl allein reiche aus, damit sie in der Kabine bleibe.
Und das tat er auch. Er war schließlich der Kapitän dieses Schiffs, und sie wusste nur zu gut, wie wichtig es in dieser beengten Welt war, sich an eine Hierarchie zu halten. Außerdem war sie sowieso zu müde und zu verwirrt, um schlüpfrige Witze über sich ergehen zu lassen.
Bianca griff nach den Kissen, schob sie unter ihren Kopf und inspizierte die breiten Holzplanken der Decke. Die Calypso war solide genaut, das Holz wies keine einzige Ritze auf. Dennoch konnte sie die Schritte
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