Im wilden Meer der Leidenschaft
schwerer Stiefel und das Geräusch von Stimmen genau über sich auf Deck vernehmen. Und tief unter sich spürte sie die wogende See, ein beruhigender und zeitloser Rhythmus, den sie an Land immer vermisst hatte.
Ihr Blick wanderte hinüber zur Wand, an der das Porträt von Signora Grattiano hing. Wie seltsam, sich hier in der neuen Welt in Gesellschaft dieser eleganten Dame der venezianischen Gesellschaft wiederzufinden. Sie schien Biancas Blick aus ihren haselnussbraunen Augen traurig zu erwidern.
Bianca rollte sich zur Seite, um ihren Anblick nicht länger ertragen zu müssen. Traurige Resignation war nie ihre Sache gewesen, aber nun fühlte sie, wie sie von der Mutlosigkeit dieser Frau angesteckt wurde.
Oder vielleicht wurde ihr auch nur wirklich bewusst, was sie getan hatte. Sie war fortgelaufen und hatte sich auf Balthazars Schiff versteckt, um – ja, warum eigentlich? Sie wusste es selbst nicht. Sie erinnerte sich daran, dass sie auch Jahre zuvor schon einmal ihrem Instinkt gefolgt und aus Venedig geflüchtet war. Doch damals war sie vor einer großen Gefahr davongelaufen.
Heute hatte sie sich eher der Gefahr in die Arme gestürzt. Direkt in die Höhle des Löwen.
Balthazar wollte wissen, warum sie dort war. Sie wusste es nicht. Sie konnte ihm keine einigermaßen sinnvolle Erklärung geben.
Sie spürte lediglich in ihrem tiefsten Innern, dass sie beide sich in irgendeiner Art und Weise auch in Zukunft zusammen der Vergangenheit stellen mussten. Und es nur so schaffen würden, ein für alle Mal einen Schlussstrich darunter zu ziehen.
12. KAPITEL
Bianca musste eingenickt sein, und das Geräusch der sich öffnenden Tür riss sie aus ihrem Schlaf. Mühsam öffnete sie halb die Augen und befürchtete, Balthazar habe sie wieder einmal völlig unvorbereitet erwischt. Doch es war einer der Schiffsjungen, der ihre kleine Truhe hereintrug, gefolgt von einem weiteren Jungen, der ein Tablett inmitten der Karten und Bücher auf dem Tisch absetzte.
Sie schloss die Augen und stellte sich schlafend, bis sie hörte, dass die beiden die Kabine wieder verließen. „Ganz schön dünn, was?“ hörte sie einen von ihnen leise bemerken, als die Tür sich hinter ihnen schloss. „Und obenrum viel zu flach! Das wird dem Käpt’n nicht gefallen.“
Bianca presste sich die Hand auf den Mund, um ihr Lachen zu unterdrücken. In der Tat, ihre Oberweite ließ zu wünschen übrig! Wie hatte sie ihre flachen Brüste und ihre kleine magere Gestalt in ihrer Jugend verflucht, während sich Balthazar mit vollbusigen Kurtisanen amüsierte. Aber jetzt – jetzt war das wirklich ihre geringste Sorge.
Sie streckte sich in der Koje aus und sah durch das Bullauge, dass es draußen schon dämmerte. Ihr erster Tag auf See ging zu Ende. Wie lange würde wohl diese Reise dauern?
Sie kletterte aus dem Bett und ging hinüber zum Tisch, um das Tablett zu inspizieren. Man hatte ihr eine Karaffe Wein, eine gefüllte Waschschüssel und einen Teller mit Obst, Käse und geräuchertem Fleisch gebracht. Der Proviant war noch reichlich vorhanden, und sie mussten sich noch nicht mit trockenem, halb verschimmeltem Brot begnügen. Sie knabberte an einer Papaya und öffnete ihre Truhe, die arg mitgenommene alte Seemannstruhe, die ihrem Mann gehört hatte.
Sollte sie nie mehr zurück nach Santo Domingo kommen, war nun ihr ganzer Reichtum in dieser Truhe. Ein grauer Wollrock mit Mieder, saubere Unterkleider und Strümpfe, ein Strohhut, einige Bücher. Und ein kleiner Beutel voll Münzen, in dem sich ein mit Perlen besetzter Rubinring befand, den ihr einst Balthazar in die Hand gedrückt hatte.
Sie zog ihre Stiefel und ihre Hose aus, sowie das Wams und das Hemd. Darunter hatte sie sich einen Streifen Leinen fest über die Brust gebunden, den sie nun löste. „Na also, da ist doch meine Oberweite“, sagte sie halblaut zu sich selbst. Spektakulär war sie nicht, aber Balthazar hatte offenbar nichts daran auszusetzen gehabt.
Während sie sich wusch und über die roten Striemen unterhalb ihrer Brust fuhr, betrachtete sie sich in dem kleinen Spiegel über der Waschstelle. Das Glas war uneben und zeigte das verzerrte Spiegelbild einer braun gebrannten Frau mit wild abstehenden Haaren. Eine Frau, die aussah, als sei sie durchaus zu so verrückten Sachen fähig, wie sich auf einem Schiff, das zu unbekannten Ufern aufbrach, zu verstecken.
Sie erkannte sich kaum wieder. Das konnte doch nicht sie sein! Aber ein berauschendes Gefühl der Freiheit und der
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