Im wilden Meer der Leidenschaft
wieder die Träumerin, die sie einst gewesen war. War wieder das dumme Mädchen, das an wahre Liebe und Abenteuer glaubte und dies für etwas Erstrebenswertes hielt.
Jetzt wusste sie es besser. Liebe und Abenteuer führten zu Ärger und Problemen, und waren eine Illusion, mit der die Unachtsamen in den Abgrund gelockt wurden.
Doch mit ihm …
Bianca schüttelte den Kopf. Mit ihm war alles einfach nur verwirrend. Und dies war einer ihrer wenigen friedlichen Momente.
Auf dem Deck über ihr läutete die Glocke einen weiteren Wachwechsel ein, und sie hörte das Rauschen der Segel im Abendwind. Sie waren nun schon weit vom Land entfernt, inmitten des scheinbar grenzenlosen Ozeans.
Sie legte sich neben Balthazar und schmiegte sich in der engen Koje an ihn. Er ergriff ihre Hand und umschlang ihre Finger.
„Du sagtest, du hättest mich in Venedig gesucht“, sagte sie leise.
„Was?“ Seine Stimme klang, als sei er gerade dabei gewesen einzuschlafen.
„Du sagtest, unsere Magd hätte dir mitgeteilt, ich sei tot. Als du zu unserem Haus kamst, um nach mir zu fragen.“
Er wandte ihr den Kopf zu, und seine grünen Augen suchten in der zunehmenden Dunkelheit ihren Blick. „Hast du daran die ganze Zeit gedacht?“
„Nein“, antwortete sie wahrheitsgemäß, und es war ihr auch wirklich erst jetzt wieder eingefallen. Sie war zu beschäftigt gewesen, ihren Plan, sich an Bord zu verstecken, auszuarbeiten. Doch plötzlich schien ihr diese Frage von großer Wichtigkeit. „Ich … es ist mir gerade erst wieder eingefallen.“
Er fuhr mit dem Daumen über das Innere ihrer Hand, und sie erschauerte unter seiner Berührung. Sie hielt seine Finger fest in den ihren und legte ihre Wange an seine Schulter. Sie waren sich jetzt und in den letzten Tagen so nah gewesen, wie zwei Menschen es nur sein konnten. Würden sie in der Lage sein, den gähnenden Abgrund zwischen ihnen zu überbrücken? War der Anfang gemacht?
„Nachdem ich dich das letzte Mal in Venedig gesehen hatte“, sagte er, „ist so vieles so schnell passiert.“
Bianca nickte. Sie erinnerte sich an alles, als sei es gestern geschehen – die Leiche ihrer Mutter; ihre verzweifelte, panische Flucht. Sie war so sicher gewesen, dass Ermano es als Nächstes auf sie abgesehen hatte, dass sie nur noch daran denken konnte, um ihr Leben zu rennen. Und daran, wie sehr sie die Grattianos hasste.
„Als mein Vater tot war“, fuhr Balthazar fort, „und als ich wusste, dass ich Venedig verlassen und einen Platz auf einem Schiff finden müsse, kam ich, um mich von dir zu verabschieden. Und um dir zu sagen, dass …“
„Um mir was zu sagen?“
„Ich weiß es nicht mehr. Aber es war mir wichtig, dass du wusstest, dass ich in die neue Welt aufbreche.“
„Doch ich war schon weg.“
„Eure Magd wollte mich nicht einmal ins Haus lassen. Sie hatte offensichtlich geweint, und sie hat behauptet, du und deine Mutter seiet tot.“ Er drückte ihre Hand. „So viel Unrecht war geschehen, dass mir diese Neuigkeit wie eine Bestrafung vorkam.“
Bianca verstand nicht gleich, was er meinte. „Eine Bestrafung?“
„Ich hatte eine schreckliche Sünde begangen, als ich den Pfeil auf meinen Vater abschoss. Zur Strafe nahm mir Gott dich, meine Freundin.“
„Waren wir denn Freunde, Balthazar?“, fragte Bianca leise.
„Vielleicht hast du mich nicht als deinen Freund angesehen. Aber ich war meistens allein, abgeschirmt von anderen Gleichaltrigen. Mit dir konnte ich reden, und du hast dich für meine Bücher interessiert und deshalb …“
Die Erinnerung an ihre ersten Treffen, ihre Gefühle für ihn und ihre kindliche Vorfreude auf ihre Begegnungen überfiel sie so heftig, dass ihr die Tränen kamen. Doch sie schluckte sie hinunter und sagte: „Habe ich mich seitdem denn so sehr verändert?“
„Wie meinst du das?“
„Du hast mich in Santo Domingo zuerst nicht erkannt.“
„Ich war nicht darauf vorbereitet, eine Frau, die ich tot glaubte, einen Geist aus der Vergangenheit, zu treffen. Ich dachte, ich sähe dich in einem Fiebertraum. Aber du hast dich tatsächlich verändert, genau wie ich.“
Balthazar rollte sich auf die Seite und blickte auf sie hinunter, als könne er ihre Gedanken lesen. Als könne er den Nebel der vergangenen Jahre lichten. „Und was ist dir zugestoßen, Bianca Simonetti? Wie bist du hierhergeraten?“
„Oh, Balthazar“, sagte sie traurig. Sie hob die Hand, um über seine Wange und die rauen Bartstoppeln zu streicheln. Sein Kiefer spannte
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