Im Zauber des Highlanders
Edinburgh
Sonntag, 15. Oktober
»Nein, ich habe kernen Gepäckschein«, erklärte Jessi der Frau hinter dem Schalter zum fünften Mal ärgerlich. »Das ha b ich Ihnen doch bereits gesagt. Aber ich kann sowohl die Kiste als auch den Inhalt beschreiben. Ganz genau - bis ins kleinste Detail. Woher sollte ich wissen, dass eine solche Kiste überhaupt existiert, oder gar, was in dieser Kiste ist, wenn sie nicht mir gehört?«
»Und ich hab Ihnen schon gesagt«, erboste sich die Frau, »dass wir ohne Vorlage eines Gepäckscheins nichts herausgeben, junge Dame.«
»Sie verstehen nicht - ich brauche diese Kiste«, beharrte Jessi.
»Das habe ich durchaus verstanden«, gab die aschblonde Fünfzigjährige ohne jede Regung in ihrem mit Botox geglätteten Gesicht zurück, dafür jedoch mit höhnischem Unterton. »Sie möchten etwas abholen, wofür Sie keinen Gepäckschein haben. Was würden Sie davon halten, wenn ich irgendjemandem Ihr Gepäck ohne Gepäckschein aushändigen würde? Wie sollten wir die Frachtgüter und Gepäckstücke unter Kontrolle halten, wenn wir unautorisierten Personen erlauben würden, sich einfach zu holen, was sie wollen? Deshalb geben wir ja Gepäckscheine aus, junge Dame. Einen Schein für jedes aufgegebene Gepäckstück. Sie können gern den Verlust Ihres Scheines melden, wenn Sie wollen.«
»Und wie lange dauert es dann, bis ich die Kiste in Empfang nehmen kann?«
»Die ganze Prozedur kann einige Wochen oder sogar Monate dauern.«
Jessi war von Natur aus keineswegs pessimistisch, aber sie hätte schwören können, einen selbstgefälligen Unterton in der Stimme der Frau wahrgenommen zu haben, und wusste, dass jeder Antrag, den sie stellen mochte, um die Kiste an sich zu bringen, ganz bestimmt etliche Monate vor der Bearbeitung liegen bleiben würde. Aus unerfindlichen Gründen konnte die Frau sie nicht leiden und wollte ihr nicht helfen.
Ohne den Spiegel war Jessi verloren. Sie hatte gerade mal zweiundvierzig Dollar und siebzehn Cent in ihrer Geldbörse. Oh, natürlich hatte sie noch ihre Kreditkarten, aber in dem Moment, in dem sie sie benutzte, wusste Lucan, wo er sie finden konnte. Sie brauchte das unerschöpfliche Bankkonto von Cian MacKeltars tiefer, sinnlicher, magischer Stimme.
So oder so, sie musste den Spiegel an sich bringen. Und es war ziemlich offensichtlich, dass diese Frau ihr keinesfalls entgegenkommen wollte. Es gab Menschen, die Probleme lösten, und andere, die welche verursachten. Diese Frau hatte nichts anderes im Sinn, als anderen Steine in den Weg zu legen.
Jessi brummte ein kaum vernehmliches »Dankeschön« und machte sich eilends davon, ehe sie noch etwas äußerte, was sie später bereuen würde.
Seufzend hievte sie den Rucksack auf die andere schmerzende Schulter und trottete den langen Flur zurück ins Hauptgebäude des Flughafens und ließ sich niedergeschlagen auf einen harten Plastikstuhl sinken.
Sie schaute auf ihre Uhr, band sie ab und stellte sie sechs Stunden vor. In Edinburgh war es jetzt kurz nach neun Uhr morgens.
Nun ja, tröstete sie sich, das Gute ist, dass Cian mittlerweile bestimmt wieder befreit w erden kann. Wenn ich nur irgendwie in seine Nähe kommen könnte. In beiden Zeitzonen waren mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen, seit sie ihn das letzte Mal aus seinem Kerker geholt hatte. Verdammt, der dominante Barbar fehlte ihr richtig. Sie vermisste das überbordende Testosteron und die Gewissheit, dass er ihr jeden Moment einen dieser Küsse geben würde, die ihr den Verstand raubten und sie zu einem Sexkätzchen machten.
Sie lehnte sich auf dem unbequemen Stuhl zurück, rieb sich die Augen und atmete tief durch.
»Flug Nummer 412 von Edinburgh nach London - Start um ...«, lispelte eine Frauenstimme über Lautsprecher.
Von Edinburgh. Sie war in Schottland! Ganz in der Nähe war die sagenhafte, fünftausend Jahre alte Steinzeitsiedlung von Skara Brae. Die unglaubliche Rosslyn Kapelle war nur acht Meilen von Edinburgh entfernt. Die Ruinen von Dunnottar und zahllose andere Schätze warteten vor den Toren des Flughafens.
Und Jessi glaubte allmählich nicht mehr daran, dass sie jemals so weit kommen würde. Ihre Anschlussmaschine von Paris war vor mehr als fünf Stunden gelandet.
Und seither hatte sie versucht, an den Spiegel heranzukommen.
Es hatte sie fast eine Stunde gekostet, dieses idiotische Büro zu finden, in dem man Frachtgüter abholen konnte.
Es befand sich nicht einmal in der Nähe der Gepäckausgabe, genau wie sie
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