Im Zeichen der Angst Roman
noch, ich sei ein Kind und wüsste nicht, was passiert ist oder was hier vor sich geht?«
»Was denn?«, fragte Josey und schaute von einem zum anderen.
»Sei still«, sagte David scharf in Katharinas Richtung. »Rede nicht immer dazwischen.«
Katharina warf das Messer auf ihren Frühstücksteller und sprang von ihrem Stuhl auf. Das Metall erzeugte auf dem Porzellan einen hellen, harschen Ton, der in den Ohren schmerzte.
Joseys Augen füllten sich mit Tränen.
»Behandle mich nicht immer wie meine Mutter. Ich bin nicht meine Mutter«, fauchte Katharina ihrem Vater ins Gesicht und stürzte aus dem Esszimmer, die Tür hinter sich mit lautem Knall zuschlagend.
David zuckte zusammen.
»Darf ich aufstehen?«, fragte Josey.
»Kommst du dann später wieder und isst dein Müsli?«, fragte ich.
»Ja«, sagte sie.
»Okay.« Ich nickte ihr zu. Sie atmete tief ein, und man sah ihr an, wie erleichtert sie war, ihrer neuen Freundin folgen zu dürfen.
»Sie ist neunzehn«, sagte ich und runzelte die Stirn, als hinter Josey die Tür ins Schloss fiel. »Sie hat mitbekommen, was passiert ist und weshalb wir hier sind.«
»Wie denn?«, fragte David. »Niemand hat es ihr gesagt, und sie hat nicht gefragt.«
»Sie ist intelligent und empfindsam. Du solltest dich mit ihr vielleicht mal unterhalten.«
»Das tu ich doch.«
»Nein«, sagte ich. »Ich meine ein Gespräch, bei dem der eine dem anderen zuhört und auf ihn eingeht. Ich meine nicht ein Gespräch, bei dem einer Anweisungen gibt, die der andere zu befolgen hat.«
Davids blaue Augen musterten mich, und ein paar Sekunden stand das Schweigen wie eine kampfbereite Armee zwischen uns.
»Du glaubst, ich sei schuld am Tod meiner Frau?«, fragte er dann.
»Nein«, sagte ich. »Aber ich glaube, dass du schuld an den Streiten mit deiner Tochter bist. Mehr als du glaubst sogar. Deine Tochter ist eine junge Frau, kein Kind. Das musst du respektieren lernen, ob es dir nun gefällt oder nicht.«
»Ich fahr dich zu Renner«, sagte David übergangslos, nahm die Serviette von den Knien und wischte sich den Mund.
Mit fester Stimme sagte ich: »Gib mir bitte seine Telefonnummer.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stand David auf und holte einen Post-it-Block und einen schwarzen Kugelschreiber von der Anrichte und schrieb mir die Nummer auf.
»Zufrieden?«, fragte er und reichte mir den Zettel.
»Danke«, sagte ich und stand ebenfalls auf.
»Du isst nichts?«, fragte David überrascht.
Ich bestrich im Stehen eine Scheibe Brot mit etwas Butter und Erdbeermarmelade und legte sie auf einen Teller.
»Wie kommt es, dass du seine Nummer im Kopf hast?«
»46 48 40? Ein Kinderspiel.« Er lächelte.
»Wann hast du mit ihm gesprochen?« Seine Beiläufigkeit beeindruckte mich nicht.
»Vor einer halben Stunde«, sagte David.
Ich sagte nichts, nahm den Teller, drehte mich um und ging.
»Clara«, hörte ich hinter mir Davids Stimme. »Ich habe heute Morgen eines unserer Subunternehmen damit beauftragt, deine Wohnung zu tapezieren. Wenn du von der Beerdigung zurück bist, ist sie wieder in Ordnung.«
»Danke«, gab ich über die Schulter zurück.
»Ich brauche deinen Wohnungsschlüssel.«
»Ich lege ihn auf die Kommode im Schlafzimmer«, sagte ich, schloss hinter mir die Esszimmertür und atmete tief durch.
Ich konnte Streit nicht ertragen und ebenso wenig Menschen, die nicht miteinander kommunizierten, sondern aneinander vorbeiredeten, sobald sie den ersten Satz formulierten. So war es mir und Kai nach Johannas Tod ergangen, und es war das Aus unserer Ehe gewesen. Jeder von uns war so mit seinem eigenen Schmerz beschäftigt, dass er nicht mehr fähig war, den Schmerz des anderen wahrzunehmen oder anzunehmen - und schon gar nicht mitzutragen. Nicht, weil wir einander gleichgültig waren oder uns nicht liebten, sondern weil der Verlust unserer Tochter ein so unermesslicher war, dass wir ihn nicht miteinander teilen konnten. Jedes unserer Gespräche endete in dieser Zeit früher oder später in einem Streit. Es war, als legten wir es darauf an, uns voneinander zu entfernen und einander zu vertreiben, um uns nicht tagein tagaus allein durch die Gegenwart des anderen an den Verlust zu erinnern.
Wir hätten einen Therapeuten gebraucht, wie John Hart es mir oft genug geraten hatte. Doch Kai verstand nicht einmal annähernd, weshalb wir einen »Seelenklempner« aufsuchen sollten. Es liefe doch alles ganz wunderbar, wir hätten ein zweites Kind, und die Zeit würde die Wunde
Weitere Kostenlose Bücher