Im Zeichen der Angst Roman
herzustellen«, fuhr David scharf dazwischen, bevor sie antworten konnte.
Ich überlegte. John Hart hatte mich seit Juli 1996 behandelt. »Demnach meinen Sie, ich hätte etwas mit Ihrem Familienzwist zu tun?«
»Zwistigkeiten«, wiederholte Christine und lachte ungut auf.
»Wir drei waren unser ganzes Leben lang zusammen, bis Sie kamen. Es war nur …« Ihre Stimme verlor sich.
»Es war nur …«, half ich ihr, weil ich wissen wollte, weshalb sie sich nicht traute weiterzusprechen.
Sie sah mich über den Rand ihres Glases hinweg an. Dann trank sie noch einen Schluck.
»Es war nur nicht so eine Bruder-Schwester-Beziehung, wie man sie sich vorstellt. Wir mochten uns. Immer schon. Rein platonisch, natürlich.« Sie schluckte. Sie sprach so gequält und ruckartig wie ein Motor, der gleich absoff. »Aber er hatte die Praxis in Hamburg, und ich konnte hier nicht weg, weil meine Mutter, also seine Stiefmutter, schwerkrank war. Außerdem wollte er, dass ich selbstständig werde. Das hat er jedenfalls behauptet. Doch wenn ich mir das heute überlege …« Sie knallte das Glas auf die Arbeitsplatte.
Ihre Augen röteten sich, als würde sie gleich losweinen. Hazel sah betreten auf die Tischplatte, David betrachtete stumm seine Hände.
»Ihr Stiefbruder hat sich umgebracht«, versuchte ich, die Atmosphäre zu beruhigen. »Das tut mir leid. Er war ein guter Therapeut.«
»Tun Sie doch nicht so«, sagte die Frau und sah mir zum ersten Mal in die Augen. »Sie sind doch schuld daran.«
David stand ruckartig auf, ging auf sie zu, packte sie an den Armen und schüttelte sie.
»Wissen Sie eigentlich, was Sie da reden?«
»Sicher«, sagte sie. »Was denken Sie denn? Dass ich betrunken bin?«
Sie lachte auf. Es klang schütter und rau und verflüchtigte sich so schnell, wie es gekommen war. »Er hat sich um sie gekümmert, er hat seine ganze Zeit mit einer verurteilten Mörderin verbracht. Er hat nur noch von ihr gesprochen. Wie klug sie ist, wie tapfer, wie großartig. Dass sie natürlich unschuldig ist. Aber Madame hatte es nicht nötig, sich auf einen Therapeuten
einzulassen. Sie war sich zu fein. Dann hat ihn der Krebs innerlich zerfressen, bis er nicht mehr weiterwusste und sich umbrachte.«
»Sie sind ja krank«, sagte Hazel.
»Ja«, sagte Christine. »So nennt man wohl immer die, die die Wahrheit sagen, die keiner hören will.«
»Nein«, sagte Hazel. »Das meine ich nicht. Ich meine, Sie sind Alkoholikerin.«
Christine machte einen Schritt auf den Tisch zu, und bevor auch nur einer von uns reagieren konnte, kippte sie Hazel den verbliebenen Inhalt des Glases ins Gesicht.
Er sprang auf und griff sie hart am Arm. Christines Gesicht verzerrte sich.
»Sie haben Glück, dass Sie eine Frau sind«, zischte er und zerrte sie zur Spüle.
»Was wollen Sie von mir?«, jammerte sie.
Er schob ein Glas, das darin stand, unter den Hahn, öffnete ihn und ließ es voll laufen. Er ließ sie nicht einen Moment los. »Trinken Sie das«, sagte er.
Sie schlug es ihm aus der Hand. Das Glas zersprang auf dem Boden in Hunderte von Scherben, die in alle Richtungen stoben.
Hazel riss ein Papiertuch von einer Rolle, die neben der Spüle stand, wischte sich das Gesicht ab und betupfte Hemd und Jackett.
»Gehen wir«, sagte David.
Ich nickte. Ich hatte genug von der Frau.
Wir ließen sie in den Scherben stehen und verließen das Haus.
Niemand sagte ein Wort.
Hazel ging vor mir. Er stank, als sei er in ein Whiskey-Fass gefallen. Kurz danach roch auch das Innere des Wagens wie eine Whiskey-Destille.
18
»Du hast gesagt, du bleibst immer bei mir«, murmelte Josey schlaftrunken, als sie mich sah. Sie ballte die Hände zu Fäusten und rieb sich die Augen, während sich ihr Mund langsam zu einem Lächeln verzog.
Sie nahm die Hände herunter und blinzelte in das Licht der Nachttischlampe, die ich im Gästezimmer der Plotzers eingeschaltet hatte.
Ich schaute sie verdutzt an.
»Herzchen, ich war doch nur kurz weg, und Katharina war doch da.«
»Aber es war sehr lange«, sagte Josey und rutschte am Kopfende des Bettes hoch. »Ich hab gewartet.« Sie blickte auf die Uhr neben der Lampe. »Es ist so spät, schon nach ein Uhr.« Sie grinste stolz über das weiche Gesicht mit den vom Schlaf geröteten Wangen.
»Ich habe dir doch Gute Nacht gesagt«, sagte ich, beugte mich zu ihr und gab ihr einen Kuss. »Ich komme gleich zu dir ins Bett, ich muss mich nur noch abschminken.«
Ich ging ins Badezimmer, das sich an das Schlafzimmer anschloss.
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