Im Zeichen der blauen Flamme
Männer, was Susanoo vermuten lieÃ, dass die Dorfbewohner deswegen ihre Wintervorräte angebrochen hatten. Rina kümmerte sich um alles und bewirtete eigenhändig ihre Gäste. Masumi kniete neben ihrer Mutter und ordnete die kleinen Holzschalen auf dem Tisch so an, dass sie ein hübsches Muster bildeten. Die Schatten ihrer Wimpern bebten auf ihren gebräunten Wangen. Kubichi hatte nur etwas Reis zu sich genommen. Susanoo sah, wie ihre Augen Masumi folgten. Er nahm die Schale Reiswein entgegen, die Rina ihm anbot. Ihre Blicke senkten sich ineinander, aber in ihren Augen war nichts, zu dem er hätte sprechen können. Ein unheimliches, ungewisses Grauen lag in ihrem höflichen Schweigen. Susanoo war ihr König; er hätte sie zur Rede zwingen können, doch er unterlieà es. Die Bauern von Izumo waren keine Leute, die man anmaÃend behandeln durfte.
Später wurden die Tische fortgetragen und die Matten für die Nacht ausgebreitet. Der Wachhauptmann und seine Männer wurden im Nebenraum untergebracht. Kubichi hatte ihren Mantel von den Schultern gleiten lassen. Sie kniete auf einem Kissen und kämmte ihre Locken. Die Flammen warfen ihr flackerndes Licht auf sie. Wieder kam ihm zum Bewusstsein, wie auÃergewöhnlich schön sie war. Seine Hand strich an ihrem Arm hinauf, und er spürte, dass sie zitterte.
»Wovor hast du Angst?«, fragte er.
Sie legte den Kamm beiseite und sah ihn mit starren Augen an. »Vor Schatten ⦠vor schrecklichen Dingen. Ich weià es selbst nicht â¦Â«
Er legte ihr zärtlich die Finger auf die Lippen. »Sprich es nicht aus. Man sagt, die Kraft der Worte kann das Böse erschaffen, ihm Wesen, Gestalt und Leben verleihen.«
»Das Böse ist bereits erwacht«, flüsterte sie. »Spürst du es nicht?«
Er schwieg; dann lachte er, ohne sich viel Gedanken darüber zu machen.
»Ich habe entdeckt«, sprach er, »dass es keine Frau gernhat zu erfahren, dass man an eine andere gebunden ist.«
Er schloss sie in die Arme und sie sprachen nicht mehr davon. Das Feuer erlosch. Spät in der Nacht ging der Mond auf, tauchte den Raum in bläulich metallischen Glanz.
Da sagte sie laut einen Namen: »Masumi.«
Er erwachte sofort; stützte sich auf einen Arm, um sie anzusehen. Sein langes Haar fiel auf ihre Stirn. »Ja«, sagte er. »Was ist mit Masumi?«
»Ich hatte einen Traum«, sprach sie beklommen. »Ich ging über nackten Fels und körnige Asche. Die Erde bebte, und vor mir auf dem Boden zeichnete sich ein glühender Spalt ab, wie ein rötlich flackernder Blitz. Die Glut umhüllte mich und zog mich in die Tiefe. Da sah ich eine Gestalt auf mich zukommen; es war Masumi. Sie lächelte rätselhaft und küsste mich auf den Mund. Und als unsere Lippen sich berührten, verschmolz sie mit mir. Ihr Leib wurde mein Leib, ich fühlte ihr Blut mich in warmen Wellen durchströmen. Da erwachte ich â¦Â«
Er spürte ihre Worte wie eine kalte Umklammerung seines Herzens, doch er wollte sie nicht beunruhigen, und so küsste er sie und sprach: »Denke nicht weiter daran, es ist ja nur ein Traum.« Bald schlief sie wieder ein. Er aber fand keinen Schlaf mehr und lag wach, bis in der Stunde vor Tagesanbruch die Wachen im Vorzimmer abgelöst wurden.
6
S usanoo trat auf die Treppe hinaus; seine Ordonnanz schnürte ihm die Ledergamaschen zu, während Rina ihn, auf den Stufen kniend, begrüÃte. Sie hielt ein Tablett mit einer Schale Tee und süÃen Reiskuchen in den Händen. Die Dienerschaft war in einer Reihe angetreten, um die Gäste, wie es Sitte war, zu verabschieden. Befehlende Stimmen und Waffengeklirr erfüllten den Hof. Die Pferde schnaubten und stampften den Boden, und die flatternden Standarten malten grelle Farben in die neblige Luft. Susanoo nippte am Tee und beobachtete, wie einer der jüngeren Offiziere mit Namen Eisai Masumi hinter sich aufs Pferd hob. Das Mädchen trug baumwollene Hosen, Beinschützer aus Stroh und einen Ãberwurf, wie die Bauern ihn bei der Feldarbeit anhatten. Ein blaues Stirnband hielt ihr kräftiges Haar zusammen; sie glich einem sonnengebräunten, gelenkigen Knaben. Eisais Pferd tänzelte übermütig. Plötzlich brach das Tier aus und stürmte dicht am Haus vorbei. Masumi klammerte sich an den Reiter; ihre Augen suchten ihre Mutter. Sie tauschten einen Blick, flüchtig und bedeutsam zugleich.
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