Im Zeichen der blauen Flamme
terrassenförmig angelegte Reisfelder. In den Dörfern waren die Bauern damit beschäftigt, die Strohdächer zu befestigen und Steinreihen zum Schutz gegen die Lawinen aufzustellen. Maulbeer- und Kakibäume wurden mit Stroh eingehüllt. In der Mitte jedes Dorfes erhob sich ein hoher Bambuspfahl, mit einem immergrünen »Sakakibusch« gekrönt, an dem weiÃe Stoffstreifen hingen. Er wurde »Sonnenspeer« genannt und war zu Ehren der Göttin aufgestellt worden, um das segnende Sonnenlicht auf das Dorf zu lenken.
Die Bauern führten ein karges Leben, aber sie waren stolze, fröhliche Menschen. Die Frauen wurden ihrer Schönheit, ihrer hellen Haut und ihres Selbstbewusstseins wegen gerühmt. Wenn der König und sein Gefolge durch eines der Dörfer ritten, warfen sich die Bewohner auf die Knie und berührten mit der Stirn den Boden. Ihr Gruà war ehrerbietig, aber nicht unterwürfig; sie lachten und winkten, und die Mädchen riefen den Männern Scherzworte zu.
Gegen Abend erreichte die Reiterschar ein Dorf an einem Berghang, wo Seidenraupenzüchter und Weber lebten. Es wurde beschlossen, die Nacht dort zu verbringen. Das Dorfoberhaupt, eine alte Frau von hohem Wuchs und mit geschmeidigen Bewegungen, bot ihnen ihr Haus als Unterkunft an. Die Frau - sie hieà Rina - war Witwe. Ihr kluges Gesicht drückte Heiterkeit und Ruhe aus. Trotz der Kälte trug sie nur ein Baumwollgewand und ihre bloÃen FüÃe steckten in Strohsandalen. Ein blau gemustertes Tuch, wie alte Bäuerinnen es zu tragen pflegen, war um ihr weiÃes Haar geschlungen. In ihrem Haus, rings an den Wänden, standen mit Schilf bespannte Bambusrahmen, auf denen im Frühling die Seidenraupen mit Maulbeerblättern gefüttert wurden, bevor sie sich verpuppten. Die eingesammelten Kokons füllten groÃe Körbe und warteten auf ihre Verarbeitung.
Rina bewirtete ihre hohen Gäste mit ungezwungener Würde. In dieser Agrargesellschaft, noch stark vom matriarchalischen Denken geprägt, wurde der soziale Stand eines Menschen weniger gewertet als seine Taten. Kinder platschten mit bloÃen FüÃen über die Matten, und die Dorfbewohner drängten voller Neugierde in den Innenhof, bestaunten die Pferde und die Pracht der Harnische und Wappen.
»Wohin führt dein Weg, Majestät?«, fragte Rina, während eine Dienerin den heiÃen, schäumenden Tee brachte.
Der Raum war durch die Glut des Herdfeuers erhellt und das Gesicht der Frau glänzte kupferfarben.
Susanoo erwiderte: »Ich will zum Berg Akagama hinaufsteigen und rotes Erz gewinnen, um ein neues Schwert zu schmieden.«
Er erzählte ihr, was sich in Tatsuda zugetragen hatte. Rina saà in aufrechter Haltung vor ihm, die Hände im SchoÃ, und hielt die Augen wegen des Rauchs leicht geschlossen. Sie war nicht in Gedanken versunken - wie Susanoo zuerst angenommen hatte -, sondern schien in einem Zustand höchster Wachsamkeit seinen Worten zu lauschen. Als er geendet hatte, neigte sie sich vor und fachte das Herdfeuer an.
»Das Erz wächst im Schoà der Erde wie das Ungeborene im Mutterleib«, sprach sie, endlich das Schweigen brechend. »Das männliche Erz auf der Erdoberfläche ist schwarz wie Lava; du findest es leicht. Das weibliche Erz jedoch reift rot wie Zinnober in verborgenen Tiefen. Um dein Schwert zu formen, musst du beide Erze - das männliche und das weibliche - im Schmelzofen vermählen. Doch im irdenen Mutterschoà sind die Metalle lebendig; sie können Lust und Schmerz empfinden wie die Menschen auch â¦Â«
Sie verstummte. Ihr Gesicht zeigte eine seltsame Geistesabwesenheit.
Susanoo lieà sie nicht aus den Augen. »Sprich weiter«, sagte er.
Sie erwiderte voll und ruhig seinen Blick. »Einst liebte dich die Erdmutter. Doch jetzt zürnt sie dir, du hast ihr die Treue gebrochen â¦Â«
Sie wandte das Gesicht Kubichi zu. Die junge Frau rührte sich nicht. Ihr Mantel aus Fuchsfellen schien zu atmen; er schmiegte sich an die goldene Haut, als sei er mit ihr verwachsen. Sie sah Rina mit einem langen, abschätzenden Blick an, aus dem Gelassenheit, Selbstsicherheit, ja fast Herausforderung sprach.
Susanoo war dieser Blickwechsel nicht entgangen. Er hatte das Gefühl, dass Rina ihm einen Teil ihrer Gedanken verheimlichte. »Was willst du damit sagen?«, fragte er scharf.
Rinas Züge wirkten plötzlich seltsam eingefallen. »Nimm dich
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