Im Zeichen der blauen Flamme
von einem Kreis tierähnlicher brauner Hügel. »Der Akagama!«
Da war er also, der »Berg des roten Eisens«! Er lag jenseits des Hügelkammes und stieg steil zum Himmel empor. In der klaren Luft wirkte er sehr nahe, doch Susanoo schätzte, dass der Berg noch mindestens einen Tagesritt weit entfernt war. Der untere Teil des Gipfels war in Wolken gehüllt. Grate und Zacken, spitz wie Raubtierzähne, tauchten aus dem Wolkenmeer auf.
Susanoo starrte auf den Berg: Ihm war, als starre der Berg zurück. Sein Anblick wirkte unheimlich, beklemmend und grausam. Neben ihm saà Kubichi aufrecht im Sattel. Kein Muskel zuckte in ihrem Gesicht, aber in ihren glänzenden Augen lag Wachsamkeit. Zurufe und Befehle waren verstummt. Die Männer blickten auf den Berg, als hätte sich ein übermächtiger Bann auf sie gelegt.
»Vorwärts!« Susanoos Befehl zuckte wie ein Peitschenknall über sie hinweg. Ein Berg war ein Berg, und es galt, keine Zeit mehr zu verlieren. Schon neigte sich die Sonne dem Horizont entgegen; in Kürze würde die Nacht hereinbrechen.
Mit klirrenden Harnischen trabten die Pferde über das rote Geröll. Ihr Schatten - doppelt so groà wie sie selbst - glitt neben ihnen auf dem Boden dahin. Plötzlich wurde in der Ferne eine undeutliche schwarze Gestalt sichtbar. Die tänzelnde Erscheinung lieà an einen Spuk denken.
Doch das Wesen, das sich im rötlichen Lichtschleier bewegte, war offenkundig ein Mensch. Susanoo blickte zu Masumi hinüber und sah, dass alles Blut aus ihrem Gesicht gewichen war.
»Wer ist denn das?«, fragte er schroff. Er hatte nicht erwartet, einen Menschen an diesem Ort anzutreffen.
Ihre Lippen bebten. Dumpf stieà sie hervor: »Der Alte des Berges!«
»So! Und was tut er da oben?«
Sie schlug die Augen nieder. »Verzeiht, Majestät. Er ⦠er bewacht die Erzgrube!«
»Wer gab ihm den Auftrag dazu?«
Susanoos Frage kam mit ungeduldiger Schärfe. Sie schüttelte wie in Ratlosigkeit den Kopf. Sie wusste es nicht - oder sie wollte es ihm nicht sagen. Doch Susanoo hatte sich schon abgewandt und richtete den Blick auf den Fremden. Mehr sich windend als gehend näherte er sich ihnen. Als er in Rufweite kam, fühlte Susanoo, wie es ihn innerlich schauderte. Der Alte stützte sich auf einen Stab und sah wie eine magere, räudige Katze auf drei Beinen aus. Er hüpfte von Stein zu Stein, rutschte und humpelte. Trotz der Kälte war er nur mit einigen Stofffetzen bekleidet. Seine FüÃe waren nackt, und es schien, als ob sein ganzer Körper mit einer Hornhaut überzogen war. Sein weiÃes Haar bedeckte wie ein verfilzter Mantel die Schultern. Sein durch Runzeln und Narben entstelltes Gesicht glich einer Maske voller Wülste, Risse und Spalten, von der Farbe gelblicher Erde. Doch diese Maske glühte von ungestümer, unwiderstehlicher Leidenschaft. Die Lider zuckten wie die Schuppen eines Reptils über die blutunterlaufenen Augen. Er fuchtelte mit seinem Stab durch die Luft, dass die Pferde erregt schnaubten.
»Bist du der Alte des Berges?« Die Frage kam ausdruckslos über Susanoos verächtlich hochgezogene Lippen.
»Der bin ich!« Die Stimme des Mannes war wie ein Krächzen. Er stieg gewandt über das Geröll, packte Kuri-Umas Zügel und starrte mit entzündeten Augen zu Susanoo hinauf.
»Und du, du bist der König von Izumo!« Der Alte zeigte kichernd seine Zahnstummel. Sein Blick schoss zu Kubichi hinüber, die ihn wie ein widerliches Ungeziefer betrachtete. »Und das ist deine Gemahlin, die Geliebte deines Herzens â¦Â«
Kubichis Atem beschleunigte sich. Unwillkürlich packte sie den Griff ihres »Tanneku«, das Langschwert der Ainu, das an ihrem korallengeschmückten Gürtel hing.
Der Mann lieà ein meckerndes Lachen hören. »Nimm die Hand von der Waffe, Fürstin! Sie wird dir hier nichts nützen â¦Â«
»Halt den Mund, Alter, und mach, dass du aus dem Weg kommst!«, sagte Susanoo mit drohender Ruhe. Er bohrte seine Knie in Kuri-Umas Flanken, aber der Alte hielt das Pferd am Zügel fest.
»Nicht so eilig, König von Izumo! Der Reisende muss die Götter auf seinem Weg achten, wenn er sein Ziel glücklich erreichen will.«
Susanoo lieà ihn nicht aus den Augen. Dem Aussehen nach war der Mann ein Fremder, offenbar ein Fremdling vom chinesischen Festland. Susanoo fragte sich, was ihn wohl
Weitere Kostenlose Bücher