Im Zeichen der blauen Flamme
Als Masumi merkte, dass Susanoo sie beobachtete, senkte sie rasch die Lider, und dunkle Röte stieg ihr ins Gesicht. Und dieses Mal deutete Susanoo - was nicht oft in seinem Leben vorkam - ein Zeichen falsch, denn er nahm an, dass der gesenkte Blick und das Blut in ihren Wangen Furcht bedeuteten. Er fluchte innerlich. Kubichis Traum war ihm noch gegenwärtig. Es fehlte jetzt nur noch, dass das Mädchen ihnen Scherereien bereitete! Eisai hat schon ein Auge auf sie geworfen, dachte er verärgert, und jetzt kann ich sehen, wie ich die Männer im Zaume halte! Rina zu befehlen, ihre Tochter zu Hause zu behalten, war nicht angebracht: Das Mädchen hätte dadurch sein Ansehen verloren. So lieà er es gut sein. Er veranlasste, dass die Dienstboten belohnt wurden, und dankte Rina für ihre Gastfreundschaft.
»Lebt wohl, Majestät«, erwiderte sie. »Möge Euer Weg friedlich sein.« Sie warf einen letzten Blick auf ihre Tochter, dann verneigte sie sich tief und verbarg ihr Gesicht hinter ihrem Ãrmel.
Die Dorfbewohner hatten sich vor dem Tor versammelt. Als Kubichi aus dem Haus trat, in ihren weiÃen Fellen strahlend anzusehen, flüsterten sie. Susanoo gab das Zeichen zum Aufbruch. Die Pferde wurden herbeigeführt. Ein Stallbursche hielt die Zügel, als Kubichi aufsaÃ. Susanoo prüfte den Gurt seines Pferdes, dann schwang er sich in den Sattel und gab seinen Männern ein Zeichen vorauszureiten.
Es war ein grau verhangener Tag. Die steilen, dunkel bewaldeten Hänge waren vom Nebel verdeckt. Der Pfad führte am Ufer eines Bergflusses entlang, der seinen Lauf durch finstere Schluchten nahm. Das Dröhnen des Wassers begleitete sie noch lange, nachdem sie den Strom schon hinter sich gelassen hatten. Der steinige Pfad wand sich an einer Bergflanke empor. Unzählige Grotten und Höhlen lieÃen den Hang wie eine riesige Bienenwabe erscheinen. Tief hängende Wolken von rötlichem Schimmer trieben im Wind dahin. Hoch über dem Tal zog ein Adler seine Kreise.
Der Passweg stieg steil an. Der Wind steigerte sich zu einem eisigen Luftstrom. Dann öffnete sich die Schlucht: Vor ihren Blicken dehnte sich ein endloses Steinfeld aus. Kein Baum wuchs hier, kein Strauch. Hohe Berge schlossen diese Ebene ein, sie waren so nahe am Himmel, dass einzig ihre Zacken über die Steinwüste hinausragten. Kubichi zügelte plötzlich ihr Pferd. Ihre schmalen Nasenflügel bebten.
»Ich kenne diesen Ort«, flüsterte sie schaudernd. »Ich sah ihn heute Nacht im Traum â¦Â« Die Furcht in ihrem Gesicht krampfte Susanoos Magen zusammen. Kubichi war ein Mensch der Wälder, der kühl glitzernden Flüsse. Diese kalte, raue Ebene aber schien von den Göttern verlassen und den Geistern der Erde überlassen zu sein. Er spürte, wie die Unruhe auch auf die Männer übergriff. Selbst die Pferde warfen den Kopf hin und her und kauten erregt an ihrem Zaumzeug.
Susanoo drehte sich im Sattel um und rief einen Befehl. Eisai, hinter dem Masumi auf der Kruppe saÃ, galoppierte an der Kolonne vorbei und brachte sein Reittier neben dem Herrscher zum Stehen.
»Gibt es einen anderen Weg?«, fragte Susanoo das Mädchen.
Leise antwortete sie: »Nein, Majestät. Nur diesen einen.«
»Dann vorwärts«, sagte Susanoo ruhig und trieb sein Pferd den Hang hinunter. Kubichi presste die Lippen zusammen, während ihre Knie sich fester um Kin-Umas Flanken schlossen. Hinter ihr ritten die Krieger mit fahlen Gesichtern über das scharfkantige, funkelnde Geröll.
Die Dunkelheit kam schnell. Der Wind wurde immer schärfer und die Felsen nahmen gespenstische Formen an. Ein riesiges schwarzes Tuch schien sich über die Ebene zu breiten.
Susanoo sagte zu Kubichi: »Wir müssen den Morgen abwarten«, und gab das Zeichen zum Anhalten.
Die Stallburschen sattelten die Pferde ab, rieben sie mit Stroh trocken und pflockten sie an. Die Männer hatten Brennmaterial für das Lagerfeuer mitgenommen: Wacholdergestrüpp, Tannenzweige und Buschwerk. Das Feuer lieà sich nur mühsam entfachen; der Wind wirbelte den beiÃenden Rauch vor sich her. Endlich brannte das Reisig; die Flammen leuchteten in der eisigen Nachtluft und warfen rotgoldene Schatten auf die Steine. Ãber den Feuern stellten die Männer DreifüÃe aus harten Ãsten auf, daran hängten sie groÃe eiserne Kessel, in denen Reiskleie gekocht wurde. Masumi half den Dienern
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