Im Zeichen der blauen Flamme
strich ihr beruhigend über die Stirn und lächelte sie an. »Lass uns nach deinem Belieben handeln. Sobald der Schnee schmilzt, werden wir zum Ikoma reiten.«
12
D er Mann im schwarzen Bärenfell trat langsam und unbeholfen in das Fackellicht. Das Stimmengewirr verklang; Schweigen senkte sich über den Bankettsaal. Der Mann warf einen riesigen Schatten an die Wand und der Schnee glitzerte wie Diamantstaub auf seinem Pelz. Unter der zottigen Kopfbedeckung schweiften seine glitzernden Augen über die karminroten Pfosten, die Deckenbalken aus Zedernholz, die gold schimmernden Wandmalereien. Der Raum war mit Matten und Kissen ausgelegt. Damen und Herren knieten vor kleinen, mit Perlmutter eingelegten Tischen und Diener schenkten ihnen Reiswein aus Keramikkännchen ein. In Schalen, die Lichtkelchen von durchscheinendem Azurblau glichen, dampften erlesene Speisen. Die Luft war schwer von warmen, berauschenden Düften.
Der Mann stand da wie ein groÃes, finsteres Ungetüm. Mit ihm war ein kalter Luftzug in den Saal gedrungen und die Fackeln rauchten stärker. Die Damen erholten sich langsam von ihrer Ãberraschung, stieÃen perlendes Lachen und kleine spitze Schreie aus. Einige Herren hatten die Hand an den Griff ihres Zierdolches gelegt. Der Mann im Bärenfell beachtete sie nicht. Sein Blick wanderte zur gegenüberliegenden Seite des Saales hinüber. Dort wo das Licht der Fackeln zusammenschmolz, thronte auf einer mit seidenen Kissen ausgelegten Estrade Seine Allerhöchste Majestät. Der Herrscher trug ein goldenes Gewand, dessen Flügelärmel mit glückbringenden Zeichen bestickt waren. Eine Schärpe aus dunkelblauer Seide war um seine Taille geschlungen. Er hielt in der Handbewegung inne, mit der er eine kleine Schale mit Reiswein an die Lippen führen wollte, und starrte mit gerunzelten Brauen auf die sonderbare Erscheinung. Plötzlich glättete sich sein Gesicht. Ein spöttisches Lächeln zog seine Lippen hoch und seine amüsierte Stimme brach die spannungsgeladene Stille.
»Sei willkommen, âºSchwarzer Rabeâ¹Â«, sprach er, wobei er den Namen Karas ins Tungusische übersetzte. »Ich hoffe, du hast eine angenehme Reise gehabt. Wir werden später auf meine Vorschläge zu sprechen kommen, zunächst sollst du dich von den Strapazen ausruhen. Lass dich an meiner Seite nieder, um dich an unserem Mahl zu erfreuen!«
Der so Aufgeforderte rührte sich immer noch nicht. Schon ging ein geringschätziges Kichern durch den Raum, als der Mann plötzlich das Bärenhaupt mit ruckartiger Bewegung in seinen Nacken schleuderte. Das Kichern ging in ein Kreischen über; dann erfüllte Gelächter den Saal, während die Damen die Köpfe zusammensteckten und hinter ihren Ãrmeln tuschelten. Ihre Gewänder schillerten wie Blüten im Fackelschein. Ihr Duft vermischte sich mit dem Geruch kostbarer Hölzer, die in bronzenen Kohlenbecken verglommen. Langsam näherte sich Karas der Estrade. Seine mit Stroh umwickelten FüÃe hinterlieÃen Pfützen auf dem polierten Holzboden, die ein Diener beflissen hinter ihm aufwischte. Die Fackeln beleuchteten sein Gesicht, das golden und schön wie das eines jungen Prinzen der Wildnis war. Ein rotes Stirnband hielt seine pechschwarzen, mit Gräsern zusammengebundenen Haare zurück. Er hatte eine gewölbte Stirn, eine schmale, leicht gebogene Nase und einen schwermütigen Zug um den Mund. Ein lockiger Bart fiel über sein fein gemeiÃeltes Kinn. Seine weit auseinanderstehenden, dunklen Augen hatten einen wachsamen, etwas verwirrten Ausdruck. Vor dem König blieb er stehen und hob die geballte rechte Faust zuerst an seine Stirn, dann an seine Brust.
Iri neigte huldvoll den Kopf. Immer noch umspielte das ironische Lächeln seine Lippen. »Du musst von deiner Reise müde sein. Erlaube mir, dir etwas von unserem Reiswein anzubieten. Er kommt aus dem Mittelland des Schilfgebietes und ist von bester Qualität.«
Er nahm ein Schälchen auf, das vor ihm auf dem Tisch stand, und gab ein Zeichen. Ein Diener stürzte mit einem Keramikkännchen herbei und füllte es. Doch anstatt seinem Gast das Schälchen zu überreichen, neigte sich der König der jungen Frau zu, die auf einem violetten Kissen zu seinen FüÃen kniete. Die Frau verneigte sich und nahm das Schälchen entgegen. Bei dieser Bewegung fiel ihr das Licht voll ins Antlitz. Karasâ Lider
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