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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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den Wintermonaten litten wir unter einer großen Hungersnot. Baumrinde und Flechten waren unsere einzige Nahrung. Um Trinkwasser zu gewinnen, mussten wir das Flusseis zerschlagen. Da suchten Abgesandte Seiner Allerhöchsten Majestät unseren Kotan 4 auf. Sie brachten Reis und Getreide mit. Auch die Decken und Baumwollmäntel waren ein nützliches Geschenk, gingen doch einige von uns in geflickten Lumpen. Zu Karas, deinem Bruder, sprachen die Abgesandten: ›Wir überbringen dir diese Geschenke im Namen Seiner Allerhöchsten Majestät. Und so lautet seine Botschaft: Warum willst du dein Volk wie Tiere töten lassen, anstatt über den Frieden zu reden? Ich, Sujin, habe keinen sehnlicheren Wunsch, als die Kinder des Nordsterns vor dem Untergang zu bewahren. Leicht ist es, einen Krieg zu beginnen - schwer, ihn zu einem guten Ende zu führen. Solltest du zum Frieden bereit sein, so werden dich meine Abgesandten als meinen hochgeschätzten Gast nach Tatsuda geleiten. Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben,durch Verhandlungen das Volk der Aiu-Utari vor dem Schlimmsten zu bewahren …‹«
    Kubichi schoss die Röte ins Gesicht. »Ein Vogel sang in den Zweigen des Baumes, doch seine Stimme war giftgetränkt!«, zischte sie. »Hat mein Bruder die Abgesandten köpfen lassen und ihre Häupter dem König zurückgeschickt?«
    Wakarupa senkte verlegen die Augen. »Dein Bruder, Herrin, ging einen Tag lang mit sich zurate. Dann ließ er die Abgesandten rufen und sprach: ›Jeder Krieg ist Missachtung dessen, was lebt. Noch gibt es für unser Volk ein Zurück. Ein Wort, das nicht gesprochen wird, kann ebenso schlimme Folgen haben wie ein Wort, das gesprochen wurde. Darum werde ich nach Tatsuda gehen, um mit Seiner Allerhöchsten Majestät zusammenzutreffen.‹«
    Kubichi starrte ihn an. Ihre Ohren hatten gehört, aber ihr Verstand wollte die unglaubliche Nachricht nicht wahrhaben. »Er hat sich in die Hände des Feindes begeben?«
    Â»Du sagst es, Herrin.« Wakarupas Stimme klang müde. »Er übertrug Tisina, der weisen Frau, die Führung unseres Kotan und machte sich mit den Abgesandten auf den Weg.«
    Â»Und wann war das?«, fragte Kubichi mit schmalen Lippen.
    Wakarupa öffnete und ballte fünfmal die Hand, um fünf Tage anzudeuten. Kubichi klopfte ihre Pfeife in höchster Erregung aus.
    Â»Mein Bruder hat den Verstand verloren!«
    Wakarupa schüttelte traurig den Kopf. »Nein, Herrin.
    Er will das Beste für unser Volk. Er folgte den Abgesandten so hoffnungsvoll und vertrauend wie ein Kind. Aber Tisina hatte einen bösen Traum: Sie sah einen Stern vom Himmel fallen, ein Zeichen, dass jemand sterben wird. In großer Sorge sandte sie mich nach Izumo, um Rat bei dir zu holen. Was sollen wir tun?«
    Jetzt erhob sich Kubichi, leicht und federnd, und die Korallen ihres Kopfschmuckes klirrten wie winzige Glöckchen. »Du bist müde«, sagte sie. »Ruh dich aus. Man wird dir zu essen und zu trinken geben. Ich werde die Meldung dem König bekannt geben.«
    Sie schritt durch das Tor in den Innenhof. Die aufgelösten Nebel hatten der Sonne Raum gegeben. Der Pulverschnee war weggefegt worden, der Sandboden freigelegt. Im kalten, hellen Licht übte sich der König mit seinen Offizieren im Bogenschießen. Die in Izumo gebräuchlichen großen Bambusbögen erforderten zum Spannen viel körperliche Kraft. Sobald der Pfeil angelegt war, wurde der Bogen mit gestreckten Armen hochgehoben, sodass sich die Hände des Schützen über seinem Kopf befanden. Die Zielscheibe war eine Walze aus gepresstem Stroh auf einem Holzgestell. Wenn der Pfeil abschnellte, ließ die Sehne durch den scharfen Rückschlag ein tiefes Brummen ertönen. Es hieß, dass dieses Geräusch über die geheime Macht verfüge, die bösen Geister zu bannen.
    Kubichi beobachtete, wie Susanoo einen festen Stand für seine Füße suchte. Dann atmete er tief und entspannt ein. Jede seiner Bewegungen wurde durch Einatmen eingeleitet, unter Anhalten des Atems ausgeführt und durch Ausatmen abgeschlossen. Susanoo trug Lederhandschuhe mit versteiften, dick gepolsterten Daumen, um den Druck der Sehne zu verringern. Das Abschießen des Pfeils sah bei ihm so leicht und mühelos aus, als sei es ein Kinderspiel. Nur der scharfe Schlag der aufprallenden Sehne und das Durchschlagen des Pfeiles verrieten die

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