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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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schimmerte über den Bäumen. Nach und nach bekam er seinen Atem in die Gewalt. Seine Arme und Hände waren von Dornen zerkratzt. Seine Kehle war ausgetrocknet. Als er mit der Hand über die schmerzende Stirn fuhr, sah er Blut wie Vogelleim an seinen Fingern kleben.
    Â»Trink!«, sagte neben ihm Tisinas Stimme.
    Sie hielt ihm ein Gefäß an die Lippen. Er packte es, leerte es in einem Zug. Das Wasser war frisch und kühl, sie musste es aus der Quelle geschöpft haben. Langsam, ganz langsam kam er wieder zu sich; sein Geist schien nach unten zu schweben, um sich mit seinem Körper wieder zu vereinen. Sie trafen sich, wie eine Spiegelung auf der Wasserfläche wieder zur Ruhe kommt.
    Â»Wo bin ich gewesen?« Er hörte seine Stimme, sie klang wie die eines Fremden, so schwach und rau.
    Â»In einer anderen Ebene«, sagte Tisina. »Du bist tiefer als alle Menschen vor dir in das Reich der Träume eingedrungen.«
    Er wollte sich aufrichten, doch sie hielt ihn zurück. Da sah er, dass er am Rand einer Schlucht lag. Zweige und Dornenranken waren zerknickt und zerwühlt. Fassungslos starrte er in den Abgrund: Der Steinhang verlor sich in Dämmerung und dann in Schwärze. Ein Geruch nach fauler Erde und toten Blättern stieg aus dem Loch. Der Rand bröckelte ab, als er behutsam zurückkroch. Sein verständnisloser Blick begegnete den fahlen Augen der Frau neben ihm.
    Â»Während der Geist des Bären in dir war, hast du die Opferstätte verlassen. Du bist durch den Wald gewandert und ahmtest die Bewegungen und die Laute des Bären nach. Ich folgte dir, stets hinter den Bäumen verborgen, denn sonst hättest du mich in Stücke gerissen.«
    Entsetzen fuhr ihm in die Glieder. »Habe ich gesprochen?«
    Â»Die Geister redeten aus deinem Mund. Ich ging hinter dir her, blieb stehen, wenn du anhieltest. Als du dich auf die Schlucht zubewegtest, warf ich Steine nach dir. Ich hatte große Angst um dich, Herr. Aber ich musste warten, bis dein Wahn verflog …«
    Sie betrachtete ihn ehrfürchtig. »Du bist stark. Sehr stark. Sonst wärest du jetzt nicht mehr am Leben.«
    Mühsam raffte er sich auf. Der Schrecken, der ihn erfüllte, verwandelte sich in tiefe, alles verblassende Müdigkeit.
    Â»Sprich«, sagte er heiser. »Was bedeuten die Zeichen?«
    Â»Du hast den Tod deiner Nachkommen erlebt. Ein Zeitalter wird anbrechen, in dem die Menschen Kriegswerkzeuge ersinnen, wie sie vorher noch nie auf Erden gebraucht worden sind. Waffen von solcher Stärke, dass sie die Menschen vernichten und mit ihnen alle Arten von Tieren, die Vögel in der Luft, die Fische in den Flüssen, die Schlangen in den Höhlen. Und der Gifthauch der Luft wird Bäume verdorren lassen und die Ernten verderben. Nur wenige werden dieses Grauen überleben. Jene aber werden furchtlos dem Himmelslicht ins Auge schauen und ihm nicht mehr den Namen einer Gottheit geben.«
    Ihn schauderte bei der Erinnerung an seine Vision. Wahrhaftig, es war niederschmetternd, die Zukunft zu kennen. Entsetzt dachte er an die Menschen, die das Schicksal in späteren Zeiten treffen würde. »Ich muss sie warnen … ihnen ein Zeichen hinterlassen. Aber wie?«
    Blut sickerte ihm in die Augen. Er wischte es mit dem Unterarm weg. Tiefe Sehnsucht erfüllte ihn nach dem barmherzigen Licht, das ihn umfasst hielt, ihn gestreichelt hatte mit goldenen Händen. Wie viel Zeit würde noch vergehen, bis dieses Licht, dessen Abglanz er gesehen hatte, die Menschen aus ihrem Dunkel erlöste?
    Â»Weiter«, sprach er erschöpft. »Was habe ich noch gesehen?«
    Tisinas Ausdruck veränderte sich. Sie stöhnte: »Warte!« Und plötzlich wurden ihre Lippen weiß. »Das Feuer der Finsternis ist erwacht! Die Tore zum Nordstern sind uns verschlossen!«
    Er starrte sie an. »Was sagst du da?«
    Sie schlug wimmernd die Hände vor den Mund, wie es Ainu-Frauen tun, wenn sie von Verzweiflung gepackt sind.
    Â»Wehe den Aiu-Utari! Wehe denen, die jetzt sterben, denn ihr Leichnam wird in der Erde verwesen und dem Ungeziefer als Nahrung dienen …«
    Krämpfe durchzuckten sie. Ihre Stimme war nur noch ein raues, abgehacktes Flüstern.
    Â»Der Berg brennt! Die Erde klafft! Unglück häuft sich über Unglück … Flammenzungen lodern empor … Die Himmlischen Vögel kreisen über Rauchwolken … sie suchen vergeblich den Weg zu den

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