Im Zeichen der blauen Flamme
lockerte ein wenig seinen Griff. »Und jetzt kein Wort mehr ⦠keinen Widerstand! Verschwinde ⦠mach dich unsichtbar! Dein stinkendes Bärenfell wird dir dabei behilflich sein!«
Er lockerte seine Umklammerung und richtete sich auf. Karasâ Kopf fiel nach vorn. Seine Stirn schlug hart gegen die Treppenstufe. Einige Augenblicke blieb er wie betäubt liegen. Das Gelächter der Männer drang dumpf an seine Ohren. Als er den Kopf hob, blieb sein Blick an einer weià geschminkten Frau haften, die mit ausdruckslosem Gesicht vor ihm auf der Treppe stand. Sie trug einen roten Ãberwurf über ihrem weiÃen Gewand und ihr Haar war im Nacken mit einem Reisstrohband zusammengebunden. Karas erkannte in ihr eine der Priesterinnen im Dienste der Königin Toyo-Hirume-no-Mikoto, die in Abgeschiedenheit lebte und das Zauberschwert bewachte. Es hieÃ, dass Toyo Hinterlist und Verrat verabscheute, und selbst der König fürchtete ihre Macht. In Karasâ Erinnerung flackerte das Bild einer purpurgekleideten Frau auf; an ihrem Hals schimmerte kalt und bleich die Sichel der Heiligen Bären. Da war ihm, als hätte er ein Zeichen empfangen.
Als die Priesterin sich abwandte, zog er sich an der Treppe hoch. Shinshi und die übrigen Offiziere beobachteten das Exerzieren der Truppen und schenkten ihm keine Aufmerksamkeit, während er der Priesterin auf schwankenden FüÃen folgte. Zwischen den Pfosten befand sich eine Seitentür, die in eine Halle führte. Die Priesterin streifte ihre Sandalen ab, bevor sie die Schwelle überschritt. Karas taumelte hinter ihr her. Die Halle war mit dunkel umrandeten Matten ausgelegt. Die Frau durchquerte den Raum und stieg eine Holztreppe hinauf. Oben angekommen blickte sie ihn kurz über die Schulter an und schritt dann gelassen weiter. Sie ging einen Gang entlang, bog um die Ecke und stieg dann wieder eine Treppe hinauf. Karas bemerkte, dass sie sich jetzt über der Umfassungsmauer befanden. Es standen viele Wachen hier. Ihre Lanzen waren mit Wimpeln geschmückt, auf denen das Zeichen der roten Sonne abgebildet war. Ihm fiel auf, dass sie ein ganz anderer Menschentyp waren als die Tungusen. Sie waren groÃ, hellhäutig und hatten ebenmäÃige Gesichter. Das lange Haar war unter dem Helm auf besondere Art geflochten. Ihre ehernen Rüstungen gaben ihnen das Aussehen schwarz glänzender Riesenkäfer.
Im Hintergrund einer überdachten Galerie hob sich eine lichtdurchlässige Schiebetür ab. Zwei Wachen standen davor. Sie hielten die Rechte am Schwertgriff, die Linke an der Scheide. Reglos und bereit zuzuschlagen, starrten sie dem jungen Ainu entgegen. Er sah, wie die Priesterin sich anschickte, die Schwelle zu überschreiten.
Da sank er auf die Knie, berührte mit der Stirn den Boden und stöhnte laut: »Herrscherin! Tochter der Sonne! Erhöre mein Flehen! Lass nicht zu, dass mein Volk durch mich vernichtet wird!«
Die Priesterin wandte sich um, betrachtete ihn mit ihren kohlschwarzen Augen. Dann vernahm er ein kurzes Wort, das er nicht verstand. Ein Wachtposten trat auf ihn zu, hieà ihn aufstehen und durchsuchte ihn, um festzustellen, ob er Waffen mit sich führte. Karas lieà alles stumm über sich ergehen.
Jetzt gab die Priesterin den Wachen ein Zeichen und sie traten beiseite. Die Schiebetür öffnete sie selbst. Ein Lichtstreifen auf der Schwelle bildete die einzige Schranke. Die Priesterin kniete nieder, faltete die Hände am Boden und senkte den Kopf. Der Wachtposten gab Karas zu verstehen, dass er ihrem Beispiel folgen sollte.
Der Raum war riesengroÃ, wunderschön und still. Eine leichte Brise wehte durch die Schiebetüren und trug den Duft von Blüten und frischen Gräsern herein. Alle Türen wurden bewacht. Dienerinnen knieten im Hintergrund und hatten ihren Blick auf eine Frau in der Mitte des Raumes gerichtet, die einen langen, schmalen Schatten auf dem Boden warf. Sie zielte mit einem »Shuriken«, einer sternförmigen, nadelspitzen Faustwaffe von der GröÃe einer Männerhand, auf eine Holzscheibe. Die FüÃe leicht gespreizt, stand sie ungefähr zehn Schritte vor dem Ziel. Sie trug Beinkleider aus dunkelblauer Seide und einen schwarzen Ãberwurf, der mit bunten Bändern über den Schultern gerafft war. Die Schmucksichel an ihrem Hals leuchtete bei jedem Atemzug auf; sie schien verwachsen mit ihrer Haut wie der Fellkranz bei den Heiligen
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