Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Bären. Jetzt hob sie den »Shuriken« in Gesichtshöhe, zog langsam und tief den Atem ein. Dann, mit blitzschnellem, kraftvollem Schwung, wie die Schwalbe auf ihre Beute zustößt, warf sie den »Shuriken«. Die Faustwaffe schoss durch die Luft, bohrte sich mit hartem, trockenem Laut in das Holz. Gemessen trat die Frau zur Seite. Ihre Arm- und Schultermuskeln entspannten sich. Dann wandte sie sich langsam um. Zwischen den glatten Lidern bewegten sich dunkle Augen, die sich auf Karas richteten. Einen Atemzug lang heftete er den Blick auf sie und dachte erschüttert: Wie jung sie ist! Dicht über den gemalten Brauen sah er den Ansatz von weichem Haar und ihre Haut schimmerte wie hellgoldene Seide. Doch er spürte das geheimnisvolle Feld ihrer Kraft, wie der Instinkt eines Hundes das Vorhandensein von Freude oder Leid in einem Haus wahrnimmt. Da senkte er den Kopf, drückte die fieberheiße Stirn auf die Matte und regte sich nicht mehr, bis er ihre Stimme vernahm; sie war leise und klar, eine Stimme, die nicht laut werden konnte und dennoch weithin zu verstehen war.
    Â»Ich kenne dich«, sprach sie. »Du bist Karas, der Schwarze Rabe, der Sohn des Häuptlings aller Häuptlinge.«

21
    I ch, Toyo-Hirume-no-Mikoto, betrachtete den jungen Ainu, der zitternd, gedemütigt vor mir auf den Knien lag. Und ich erinnerte mich daran, wie er mir vor nicht allzu langer Zeit im Fackelschein begegnet war. Das Antlitz war damals stolz und schön gewesen; ein warmes, reines Licht funkelte in seinen Augen. Doch jetzt hatte ich das Gesicht eines Mannes vor mir, der seine Gelassenheit, Unschuld und Würde verloren hatte. Sein Blick war dunkel und trübe, wie mit Schlamm durchsickert. Und ich wusste, dass nicht das Leben selbst, sondern einzig und allein Iri die Schuld daran trug.
    Ich entließ die Dienerinnen. Wir waren allein.
    Â»Sprich«, sagte ich.
    Er hob den Kopf. »Verzeiht mir, Majestät. Ich habe etwas Unseliges getan. Ein böser Zauber hielt mich gefangen. Ich begehrte eine Frau …«
    Â»Ich weiß es«, sagte ich ruhig.
    Â»Der König hatte sie mir versprochen. Doch sollte ich ihm helfen, seine Rache zu befriedigen …«
    Ich beugte mich leicht vor; es war, als ob eine kalte Hand meine Haut berührte. »Was hast du daraufhin getan?«, fragte ich.
    Er berichtete und ersparte sich keine Schande. Und während der ganzen Zeit blickte er auf den Schmuck um meinen Hals, wie ein Wanderer, der tief verirrt im Wald auf die bleiche Sichel des Mondes emporschaut. Doch Eis ist nicht so kalt und Holzapfelessig nicht so scharf, wie der Griff der Furcht nach meinem Herzen war. Und voller Grauen rief ich aus: »Du hast deinen Glauben verraten, deine Schwester dem Tod ausgeliefert!«
    Da schluchzte er, der König habe ihm versprochen, dass ihr Leben verschont bliebe, wenn der Herrscher von Izumo, hinterrücks überfallen, nach Tatsuda geschleppt würde …
    Â»Genug!«, schrie ich und stampfte mit dem Fuß auf.
    Er stürzte vornüber. Seine Nägel gruben sich in die Stirn und kratzten sie blutig. Wie aus Stein stand ich da, starrte auf den Mann zu meinen Füßen. Ich wollte ihn verachten, ihn hassen; jedoch nichts als Mitleid erfüllte mein Herz. Langsam hob ich die Arme, löste die Knochensichel von meinem Hals. Sie war noch warm von meiner Haut. Ich fuhr mit dem Daumen über die messerscharfe Schneide. Dann reichte ich sie Karas und sprach: »Das ist die Waffe einer Frau. Sie ist dem Schwert eines Mannes ebenbürtig. Ich gebe sie in deine Hände. Tu mit ihr, was du für richtig hältst.«
    Er hielt die Sichel vor sich hin wie ein Opfergerät. Dumpf sprach er: »Habt Dank. Ich bin bereit, mein Tun zu sühnen.«
    Ich fragte kühl und ruhig, doch innerlich glühend wie Feuer: »Wer soll die Riten an dir vollziehen?«
    Ein Seufzer entrang sich ihm, wie ein Mann ihn wohl ausstößt, wenn er die Todeswunde empfängt. Und mein Geist wurde sehend: Ich erblickte den Berg und die Himmlischen Vögel, die sich in einer Luftströmung zum Stern des Nordens schwangen. Und in weiter Ferne glaubte ich ein dumpfes, drohendes Grollen zu vernehmen, und Schwefelflammen loderten vor meinen inneren Augen auf. Da stieg das Fieber meiner Angst, und schaudernd sprach ich: »Du hast dich zu einer Tat hinreißen lassen, vor der Götter und Menschen Abscheu empfinden. Jetzt wird der Berg sich rächen und

Weitere Kostenlose Bücher