Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
umhüllen konnten –, um sie zu umarmen. Zehn waren entkommen, als die Nachfahren eingefallen waren, und zwar auf die gleiche Art wie Kerza. Jeder von ihnen hatte ein Kindmit sich getragen, um es zu schützen.
Rhia half Elora dabei, den wiedergekehrten Wölfen und den Kindern Wasser und Nahrung auszuteilen. Die Erwachsenen versuchten ihre Trauer wegen der Jüngsten zu ersticken, die eher benommen als verängstigt schienen. Die meisten von ihnen waren zu klein, um zu begreifen, was geschehen war. Rhia beneidete sie fast darum.
Nicht lange nachdem die Wölfe zurückgekehrt waren, kamen ihre Mentorin Coranna und die anderen unverwundeten Kalindonier zu Fuß an. Coranna näherte sich Rhia am Tor des Gatters. Ihre blassblauen Augen waren leer vor Schreck. Die meisten ihrer langen silbernen Haare hatten sich aus dem Zopf gelöst, statt ihrer üblichen eleganten Schritte stolperte sie nur noch.
Rhia umarmte sie. Corannas dürre Arme zitterten, und schnell löste sie sich von Rhia und blinzelte kräftig. „Hast du das Gebet des Übergangs für alle gesprochen?“
Rhia nickte.
Coranna stolperte an ihr vorbei, um sich auf einen nahen Baumstumpf sinken zu lassen. Nach einem Augenblick setzte sie sich gerader hin und rieb sich mit den Handballen die Schläfen. „Ich ruhe mich nur einen Augenblick aus, dann holen wir uns Hilfe, um die Leichen zum Scheiterhaufen zu bringen.“
Gut, dachte Rhia. Immer in Bewegung, nützlich bleiben. „Wie sollen wir so viele auf einmal verbrennen?“, fragte sie Coranna. „Es gibt nicht genug trockenes Holz für zwölf Begräbnisse.“
„Wir verbrennen mehrere auf einmal und halten die Zeremonien abseits des Scheiterhaufens ab. Jeder von ihnen sollte sein eigenes Begräbnis bekommen, besonders da sie …“ Ihre Stimme brach, und Rhia wartete ab, ob sie die Fassung verlieren würde. Diese Menschen waren Corannas engste Freunde gewesen. Sie und Kerza waren die einzig verbliebenen Ältesten.
Coranna atmete tief ein und presste die Lippen aufeinander,als wollte sie die aufbrausenden Gefühle in sich einschließen. „Wir halten die Rituale ab, sobald der Rest aus Asermos angekommen ist.“
Rhia hatte die Verwundeten und ihre Pfleger fast vergessen. Noch einmal würde sich die Szene der Entdeckung und der Trauer abspielen. Der Gedanke daran machte ihr das Herz schwer.
„Warum hassen sie uns so sehr?“, hörte sie sich selbst sagen. Als Coranna nicht antwortete, fuhr sie fort: „Ich kann fast verstehen, wieso sie in Asermos eingefallen sind. Dort sind die Ländereien fruchtbar. Aber hier …“ Sie hob eine zitternde Hand in Richtung der eingehüllten Leichen. „Was sie diesen Männern und Frauen angetan haben, das ist …“ Sie verstummte. Jeder Versuch, diese Ungeheuerlichkeit zu beschreiben, klang kläglich.
„Ich habe so etwas noch nie erlebt“, sagte Coranna. „Ich habe es mir nicht mal vorstellen können.“
„Wo waren die Geister? Warum haben sie Kalindos nicht beschützt?“
„Ich verstehe deine Verbitterung“, antwortete Coranna, „aber es ist nicht an den Geistern, die Probleme der Menschen zu lösen. Du bist alt genug, um das zu wissen.“
„Ich will nicht, dass sie unsere Probleme lösen. Aber ein bisschen Hilfe wäre schön.“
„Vielleicht ist das alles Teil des Plans.“
„Dann ist es ein schlechter Plan.“
Coranna seufzte. „Sag das Krähe.“
„Das werde ich.“ Sie wünschte sich, sie könnte hier und jetzt mit ihm in Verbindung treten, sofort, ohne auf eine Vision oder einen Traum warten zu müssen. Aber die Geister konnte man nicht wie Hunde zu sich rufen.
Ein leises Krächzen erklang in einem Baum über ihnen. Rhia sah auf und bemerkte einen Raben, der zu ihnen herabsah. Sie stand auf, bereit, den Vogel von den Leichen wegzuscheuchen, sollte er noch näher kommen.
Coranna berührte ihren Ellenbogen. „Er hat etwas.“
Der Rabe neigte den Kopf zur Seite und zeigte dabei das glänzende silberne Objekt in seinem Schnabel. Er streckte den Hals aus und öffnete den Schnabel. Das Ding fiel vor Rhia auf den Boden.
Sie hob auf, was wie ein großer flacher Knopf aussah. Auf ihm befand sich eine Insignie in Form der Sonne, mit kleinen Zeichen auf beiden Seiten.
„Muss von einem der Soldaten sein“, sagte Coranna.
In Rhia formte sich eine Idee. Sie umklammerte den Knopf und sah zu dem Raben hinauf. „Danke.“
Jemand rief ihren Namen. Alanka kam auf sie zu, in weitem Bogen an den Leichen vorbei. Der bittere Zug um ihren Mund verriet Rhia die
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