Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
Wangen und die tief sitzenden Augen – Augen, die alle außer sie und Bolan misstrauisch ansahen.
Er wartete, bis sie den Blick wieder auf ihn richtete, und deutete dann hinter sich, um zu zeigen, dass er allein mit ihr reden wollte. Oder vielleicht war es ihm nur unangenehm, dass er die Texte der Lieder nicht kannte.
Sie gingen am Ufer des Flusses entlang, bis selbst die empfindlichsten Ohren sie nicht mehr hören konnten. Alanka setzte sich auf einen moosbewachsenen Baumstamm. Die Feuchtigkeit durchdrang ihre Hose, und Alanka wünschte sich, eine Decke mitgebracht zu haben, aber damit hätte sie nur den Verdacht ihres Bruders über das, was sie gemeinsam vorhatten, bestätigt.
Filip setzte sich neben sie. „Ich habe über deinen Machtverlust nachgedacht und über andere Wege, dich zu heilen. Wenndiese Prozedur, deine Seele einzufangen, nicht funktioniert.“
„Wiederbeschaffen.“ Sie hasste es, ihn zu berichtigen, und fühlte sich geschmeichelt, dass er über ihr Dilemma nachgedacht hatte.
„Hast du über ein Opfer an den Wolfgeist nachgedacht? In meinem Land schlachten wir ein Tier und weihen es den Göttern, deren Wohlwollen wir erlangen möchten.“
„Ehe ihr das Tier esst, meinst du?“
„Wir essen es nicht.“
„Klingt verschwenderisch.“
„Das ist der Sinn der Sache.“ Er hob eine Handfläche gen Himmel. „Es ist ein Tribut, den wir den Göttern zollen, weil sie so wichtig sind. Im Grunde geben wir ihnen Nahrung von unserem Tisch.“
„Damit die Götter sie essen können.“
„Nein, Götter essen nicht.“ Er klang ungeduldig. „Sie sind nicht menschlich.“
„Ich weiß, aber … Ich verstehe das nicht. Es klingt so sinnlos und unpraktisch.“
„Warum sollte Glaube praktisch sein?“
Sie rieb sich die Arme, die kalt geworden waren. „Glaubst du immer noch an die Götter? Jetzt, wo du weißt, dass es die Geister wirklich gibt?“
Er nickte, und sie wünschte, es wäre hell genug, um die Emotionen in seinen Augen lesen zu können. „Mein Glaube hat sich nicht geändert“, sagte er, „nur dass ich nicht länger sicher bin, ob die Geister wirklich böse Chaosdämonen sind, wie man mir seit der Kindheit beigebracht hat.“ Er drehte sich zu ihr um. „Was hältst du von meinem Vorschlag?“
„Ein Opfer zu bringen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Selbst wenn ich gerade einen Hasen oder einen Vogel jagen könnte, würde Wolf das nicht wollen. Ihm ist wichtig, was sich in mir befindet, und im Augenblick ist das heilloses Durcheinander.“
„Ich weiß.“
„Danke, dass du nicht widersprichst. Alle wollen, dass es mir gut geht, also tue ich, als wäre es so. So muss ich sie nichtnoch mehr enttäuschen, als ich es schon getan habe.“
„Schsch.“ Er legte die Hand auf ihre. „Bei mir musst du dich nicht verstellen.“
Die ehrliche Verbindung, die sie zu ihm verspürte, zog ihr schmerzhaft die Brust zusammen. Sie wollte ihn mehr als alles andere küssen, aber etwas an seiner Art hielt sie zurück. Sie war sich sicher, dass er weder Männer noch Frauen bevorzugte, aber er behandelte sie so vorsichtig, dass sie sich fragte, ob er sie wirklich begehrte.
„Ich habe noch einen Vorschlag“, sagte Filip und riss sie damit aus den Gedanken. „Bei meinem Volk unterzieht man sich einer Initiation, wenn man Soldat werden will.“
„Bei meinem auch. Die Bärenmarder, die Bären und die Wespen.“
„Die Wölfe nicht?“
„Wölfe sind Jäger“, erklärte sie, „keine Krieger.“
„Jeder ist ein Krieger, wenn sein Land angegriffen wird oder sein Leben in Gefahr ist.“
„Das hat Rhia auch gesagt, aber es fühlte sich falsch an.“ Sie klopfte sich mit der Faust gegen die Brust. „In meinem Blut fühlt es sich falsch an.“
„Aber denk an Marek. Er ist ein Wolf, und er hat einen Nachfahren von Angesicht zu Angesicht getötet, wie ein Mann.“
Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. „Anstatt ihn mit Pfeilen zu durchlöchern wie ein Mädchen?“
„Na ja … ja.“
„Hat dein Volk deshalb keine Bogenschützen? Weil es nicht männlich genug ist?“
„Ja, aber …“ Er winkte ab. „Zurück zum Thema. Das Problem ist meiner Meinung nach, dass du dem Krieger in dir nie Ehre entboten hast. Nicht nur das, du bist auch nach der Schlacht nicht gereinigt worden.“
„Gereinigt …“ Das Wort zerging ihr auf der Zunge wie ein Stück Butter. „Ich wünschte, wir wären gereinigt worden, statt einfach weiterzumachen wie bisher.“
„Und damit konntet ihr auch keinen
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