Im Zeichen der Menschlichkeit
befragen Helferinnen Kriegsgefangene, die 1955 aus der Sowjetunion heimkehren.
© W. Heudtlass / DRK
Trifft die Suchkarte mit der Stammkarte zusammen, nimmt die Ermittlung ein glückliches Ende. Hier im Fall eines Zivilvermissten aus Ostpreußen.
© M. Eggers-Adler / DRK
Zur wichtigsten Quelle werden die Kriegsgefangenen, die nun nach und nach zurückkehren, die letzten 1955. Ob in den Heimatorten oder in jenem großen Auffanglager, das sinnigerweise den Namen Friedland trägt, im ganzen Land befragen Rotkreuzhelfer die Heimkehrer. Wie einst die Oldenburger Schützen erkundigen sie sich bei jedem, »wen er von seinen Kameraden todt gesehen«, und wen er noch lebend in Erinnerung hat, aus irgendeinem der 3500 Lager in der Sowjetunion. Ein riesiger Scherbenhaufen wird Stück für Stück zusammengesetzt. Wenn über Jahre kein Lebenszeichen kommt, kein Brief, keine Bestätigung eines Heimkehrers, dann ist der Betreffende sehr wahrscheinlich tot. Die Briefe der Angehörigen, die in München und Hamburg ebenfalls riesige Räume füllen, erzählen ein nicht enden wollendes Epos von Schmerz und Bitternis: »Sie sind meine letzte Hoffnung«, »Es wäre doch möglich«, »Ich spüre, daß er lebt«. Die Bescheide des Suchdienstes sind behutsam formuliert, doch sie bewerten die Tatsachen realistisch: »Es bestehen ernstliche Zweifel an seinem Fortleben«, »… nach menschlichem Ermessen«, »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit …«. Doch auch Todeserklärungen besitzen einen hohen Wert, denn nun hat die Trauer zumindest eine Richtung. Der Gesuchte ist nicht irgendwann und irgendwo verschwunden, sondern an einem bestimmten Ort gefallen oder in einem Lazarett verstorben. Vielleicht sind sogar das genaue Todesdatum und die Grabstelle bekannt. Der Schlusspunkt unter der Suche hat auch praktische Konsequenzen: Der Hof kann an den Sohn übergeben werden, die Verlobte braucht sich nicht ewig aufzusparen, die Witwenrente kann ausgezahlt werden.
Alice Friedrich, eine junge Rotkreuzschwester, baut 1946 den Kindersuchdienst auf. »Ich meinte diese Verantwortung kaum übernehmen zu können«, bekennt sie. »Ich war ja weder eine ausgebildete Bürokraft noch sonst irgendetwas. Aber ich brachte eines mit: mein Herz.« In 300000 Fällen sind Kinder von ihren Müttern getrennt worden. Wenn die Kinder selbst Auskunft geben können, stehen die Chancen für eine Zusammenführung gut. Was aber, wenn Bahnbeamte in einem leeren Zug ein wimmerndes Bündel gefunden haben? Wenn diese Kleinkinder nicht nur die Namen der Eltern nicht wissen, sondern noch nicht einmal ihren eigenen? Der Suchdienst plakatiert Steckbriefe im ganzen Land. Die Resonanz ist groß: »Wir glauben, in Nummer 2697 unseren Sohn wiedererkannt zu haben.« Das wäre wunderbar. Aber ist es auch zweifelsfrei der Fall? Auf manchen Aushang hin melden sich dreißig Mütter, die darauf ihr verlorenes Kind abgebildet glauben. Dennoch verläuft die Kindersuche bemerkenswert erfolgreich; nur wenige Tausend Fälle sind bis heute ungeklärt geblieben.
Die Detektivarbeit des Suchdienstes wird durch die Zeitumstände erschwert. So auch bei Gertrud Rohmann aus Ostpreußen, die ihre zweijährige Tochter Verwandten anvertraut hat, weil diese mit der Eisenbahn schneller nach Westen kommen würden als sie im Flüchtlingstreck. Doch das Kind erkrankt und muss in Kolberg ins Spital – dort verliert sich die Spur. Tatsächlich wird es dann per Schiff evakuiert. Das Schiff wird versenkt, aber das Mädchen überlebt und kommt schließlich zu einer Pflegefamilie in Mecklenburg. Die Mutter ist unterdessen von der Roten Armee in ein Lager verschleppt worden. Erst nach mehreren Jahren Zwangsarbeit kann sie nach Neumünster ausreisen. Sowohl die Mutter wie die Pflegeeltern melden den Fall dem jeweiligen Suchdienst. Doch da die Beteiligten in beiden Teilen Deutschlands leben, kommen die Ermittlungen nicht voran – dabei wohnen sie nur hundert Kilometer voneinander entfernt. Zum entscheidenden Indiz wird schließlich ein rotes Käppchen, das die Mutter der Tochter aufsetzte und das diese noch trug, als sie in Mecklenburg ankam. Elf Jahre danach darf Gertrud Rohmann ihre Tochter in die Arme schließen. Eine unglaubliche Geschichte – und doch eine alltägliche in einer Zeit, die gänzlich aus den Fugen war.
In den Anfangsjahren haben auch einige namhafte Künstler Berührung mit dem Suchdienst. Erich Kästner unterstützt die Kindersuche, Hilmar Pabel fotografiert Findelkinder und
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