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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Weltordnung formiert sich neu. Auch das Rote Kreuz kann sich diesem Umbruch nicht entziehen.
    Ab Februar 1945 beginnt man, sich auch in Genf ernsthafte Sorgen zu machen. Weniger um die Opfer des Holocaust als um den Ruf des Internationalen Komitees: »Die Juden werden uns Schwierigkeiten machen. Ihr Einfluß ist groß in den angelsächsischen Ländern«, heißt es in einem Memorandum zur Vorbereitung auf eine Konferenz in London, bei der jüdische Hilfsorganisationen vom Komitee Rechenschaft verlangen werden. Immer mehr Institutionen versuchen nun, da das nationalsozialistische System zusammenbricht, die Überlebenden der Konzentrationslager zu retten: der Vatikan, die Quäker, selbst Dunants erster Verein, der CVJM . Vor allem das Schwedische Rote Kreuz startet eine Reihe von Initiativen. Heinrich Himmler trifft in Hohenlychen mit Graf Folke Bernadotte zusammen, verhandelt parallel auch mit dem Stockholmer Vertreter des Jüdischen Weltkongresses. Schwedische Sanitätskolonnen bringen daraufhin skandinavische Internierte in ein Sammellager und betreuen sie dort. Als Carl Jacob Burckhardt davon erfährt, notiert er: »Es muss vermieden werden, dass eine andere Organisation dem Komitee zuvorkommt.« Darum also geht es.
    Genf nimmt Verhandlungen mit der SS auf und regt an, diese sollte die Konzentrationslager bei ihrem absehbaren Abzug in die Obhut des Roten Kreuzes übergeben. Ende April macht sich ein Dutzend Delegierter mit Hilfskonvois zu den großen Lagern auf – jenen Lagern also, von denen das Komitee stets betont hat, dafür kein Mandat zu haben, und zu deren Existenz es sich selbst auf noch so dringliche Nachfragen hin nicht hatte äußern wollen. Als die Weltpresse schließlich die Befreiung der Lager dokumentiert, stehen Fahrzeuge mit dem Rotkreuzemblem gut postiert davor.
    Für die Insassen ist diese improvisierte Übergangsregelung ein Segen. »Das Rote Kreuz! Wir sind gerettet!« – dieser Ausruf eines Gefangenen aus Sachsenhausen drückt die erlösende Gewissheit aus, das Schlimmste überstanden zu haben. In den chaotischen Tagen des Zusammenbruchs wirkt die als neutral und integer angesehene Organisation als stabilisierender Faktor. Den Wachleuten bietet das Arrangement einen gewissen Schutz gegen Racheaktionen. Manchen Lagerkommandanten mag die Präsenz der Delegierten vielleicht von letzten Vernichtungsbefehlen abgehalten haben; obwohl etwa in Theresienstadt noch Hinrichtungen im Gange sind, als ein Vertreter des Internationalen Komitees am 2. Mai provisorisch die Leitung übernimmt. Es ist einer jener Delegierten, die sich noch zwei Wochen zuvor an der Nase haben herumführen lassen und, wie Resi Weglein sich erinnert, »weder nach rechts noch links« gesehen haben.
    Während die Aktivitäten ausländischer Hilfsgesellschaften in der Endphase des Krieges zunehmen, kollabiert das Deutsche Rote Kreuz. Zumindest die Führung und die Landesvereine, während die Basis auch ohne Anweisungen von höherer Stelle weiter ihren Aufgaben nachzukommen versucht, wie es ihrem Selbstverständnis, in Notsituationen zu helfen, entspricht. Etliche hochrangige Funktionäre sterben durch eigene Hand oder unter unklaren Umständen in den letzten Tagen des Krieges. Ludwig Stumpfegger, Hitlers Leibarzt und einer der maßgeblichen Mediziner in Hohenlychen, schluckt eine Blausäurekapsel. Ernst Robert Grawitz versammelt seine Familie zum Abendessen und zündet zwei Handgranaten unter dem Tisch. Für wenige Wochen tritt Karl Gebhardt seine Nachfolge an, bevor er von den Amerikanern gefasst und nach dem Nürnberger Ärzteprozess hingerichtet wird.
    Nachdem die Verwaltung in den letzten Tagen noch belastendes Material vernichtet hat, werden das Babelsberger Präsidium und Zentraldepot von den Russen wie von den Potsdamern geplündert. Danach tritt ein kommissarisches Komitee zusammen, das jedoch nach wenigen Wochen ausgewechselt werden muss, da die meisten Mitglieder altgediente Parteigenossen sind. Als Bertha Paul, eine der aus Breslau vertriebenen Schwestern, Mitte Juli das Präsidium aufsucht, findet sie das riesige Gebäude menschenleer. Ein einsamer Buchhalter vertraut ihr die letzten zehntausend Reichsmark Vereinsvermögen für eine Typhusstation an. Auf einem Lastwagen der sowjetischen Kommandantur fährt sie zurück nach Berlin, »auf der einen Seite der Avus die Transparente von Stalin zwischen russischen Geschützen, auf der anderen Riesenbilder von Roosevelt mit amerikanischen Waffen«. Im Schloss Cecilienhof hat die

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