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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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oberpfälzischen Neutraubling, wo auf dem zerbombten Gelände der Messerschmitt-Werke eine neue Gemeinde entsteht. Anfang der fünfziger Jahre zählt sie bereits einige Tausend Mitglieder, die meisten von ihnen sind Vertriebene. Sie haben selbst fast nichts, und doch beteiligen gerade sie sich rege an Hilfsaktionen. Vor allem das Jugendrotkreuz entfaltet eine breite Palette von Aktivitäten. Es gibt nur wenige Medien, die Jugendlichen müssen ihre Zeit noch selbst gestalten und nehmen dankbar an dieser Schule der Freiwilligkeit teil: »Wir schicken 4 Pakete in den Osten. Wir starten 327 Rotkreuzluftballons. Wir spenden Hefte, Bleistifte, Radiergummis im Wert von 44 Mark für Schulen in Afrika. Wir bauen 12 Meisenkästen.« Die Kleinen erhalten einen Zahnpflegebeutel und lernen Schwimmen mit der Wasserwacht, die Großen leisten Erste Hilfe bei Schulveranstaltungen und Sportfesten und sammeln tonnenweise Bettfedern für ein Flüchtlingsheim.
    Über die Schulen regelt das Jugendrotkreuz auch den Briefwechsel mit ausländischen Rotkreuzorganisationen. »Wer andere Völker kennenlernt, wird keinen neuen Haßparolen zum Opfer fallen«, hoffen die Initiatoren. Die Schüler legen klassenweise Alben an, mit Fotos, Zeichnungen, gepressten Blumen und kleinen Geschichten über sich selbst: »Unsere Schule, unsere Landwirtschaft, unsere Volksfeste, unsere Briefmarken«. Vermittelt durch das Rote Kreuz gehen die Alben dann nach Frankreich oder Mexiko, und umgekehrt erhält Neutraubling verheißungsvolle Post aus Japan oder Schweden.
    Die größte Bewährungsprobe für die Neutraublinger folgt dann im Juli 1954. Nach einer tagelangen Sintflut treten die Donau und ihre Nebenflüsse weit über die Ufer. »Land unter«, heißt es von Ostbayern bis Oberösterreich. Passau wird zu einem Venedig wider Willen. Dämme brechen, Felder versinken, von manchen Häusern ragt nur mehr der Dachfirst aus dem Wasser. Über 100000 Menschen sind vom Notstand betroffen; manche konnten nicht viel mehr als das nackte Leben retten. Eine der bis dahin größten Katastrophenhilfsaktionen weltweit läuft an. Neunhundert ehrenamtliche Rotkreuzhelfer verteilen Bettwäsche, Kleidung, Wolldecken und Gummistiefel. Auf Bahndämmen oder sicherem Hochufer wird Suppe ausgegeben. Die Wasserwacht holt mit Kähnen das Vieh aus den Stallungen, während die Amerikaner mit Schwimmpanzern durch die Fluten kreuzen, um die letzten Eingeschlossenen zu befreien. Berge von CARE -Paketen aus Amerika treffen ein, eine standardisierte Form der Nahrungsmittelhilfe, die noch von Elsa Brändström initiiert worden ist. Außerdem übernehmen die Helfer die Sisyphusaufgabe, tonnenweise Mehl aus Säcken in handliche Papierbeutel umzufüllen. Während sich vor den Ausgabestellen gewaltige Schlangen bilden, bringen die Mitglieder des Jugendrotkreuzes alten Leuten ihre Rationen direkt nach Hause. Insgesamt werden 160 Tonnen Hilfsgüter ausgegeben, dazu im folgenden Winter ganze Schiffsladungen von Futtermais für die geschädigten Bauern, die sogenannte Eisenhower-Spende. Bei der Verteilung bewährt sich die flächendeckende Präsenz der Hilfsorganisation: in Pocking, in Kötzting, in Burglengenfeld, in Bogen, in Tirschenreuth, in Landau, in Deggendorf, in Geisbach, in Vilsbiburg …
    Irgendwann sind Schlamm und Schutt halbwegs beseitigt. Doch vielerorts ist auch die komplette Inneneinrichtung unbrauchbar geworden. Und so helfen die Rotkreuzgesellschaften zahlreicher Länder noch bis ins nächste Jahr hinein mit Waschküchen, Schulmöbeln, Nähmaschinen und Geschirr. In manch mitgenommener Wohnung kommt ein funkelnagelneues Bett an. Da lautet denn der kernige Kommentar eines Betroffenen: »Da feit si nix« – tadellos.
    Konfrontation der Systeme
    In West-Berlin ist das Rote Kreuz 1949 wiederbegründet worden, in der Bundesrepublik 1950 mit Sitz in Bonn, in der DDR 1952 mit Sitz in Dresden. Es überrascht, dass man dort nicht etwa den Arbeiter-Samariter-Bund reanimiert hat, sondern eine offiziell als reaktionär verschriene Organisation, deren Genfer Komitee als »Instrument der Imperialisten« gilt, in dem »Vertreter des Schweizerischen Finanzkapitals einen entscheidenden Einfluß geltend machen«. Für diesen Kurswechsel gibt es mehrere Gründe. Zum einen das Streben nach internationaler Anerkennung. Zum anderen die anstehende Wiederbewaffnung beider deutscher Staaten; sowohl die NVA wie auch die Bundeswehr wären ohne zusätzliche Sanitätskräfte im Ernstfall kaum vorstellbar. Und zum

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