Im Zeichen der Menschlichkeit
auch.«
Gesellschaftliche Tabuthemen waren und sind für eine Massenorganisation nur schwer integrierbar. Als das Magazin des Jugendrotkreuzes 1992 eine Titelgeschichte über »Verliebte Jungs – Schwule im JRK « bringt, ist die Aufregung groß. »Das Jugendrotkreuz wirbt für Sexualität«, tönt es entsetzt aus Präsidium und Präsidialrat, man wittert gar »Kinderpornographie«. Immerhin kann die Redaktion so eine lang anhaltende Diskussion erreichen, und mediale Aufmerksamkeit dazu. Hilfsprogramme, die mit Drogen, Sexualität, Schwangerschaftskonflikten oder eben Aids zu tun haben, gehören ebenfalls nicht gerade zu den Säulen im Repertoire des Roten Kreuzes. Sie sind intern nicht unumstritten und bleiben häufig episodisch; lediglich die Schwangerschaftsberatung hat sich zumindest in Ostdeutschland auf Dauer erhalten.
Alten- und Pflegeheime zählen dagegen zu den klassischen Schwerpunkten im Sozialbereich; gut fünfhundert betreibt der Verein bundesweit. Eines davon ist das 1997 eröffnete multikulturelle Seniorenzentrum »Haus am Sandberg« in Duisburg. Unter seinen rund hundert Bewohnern finden sich Türken, Kroaten, Spanier und Holländer, drei Viertel aber sind Deutsche. Damit liegt der Ausländeranteil nur geringfügig höher als in der Stadt; dennoch gilt das Heim als Pionierprojekt. Geschäftsführer Ralf Krause hat es mit aufgebaut. Manchmal muss er in seinem Büro etwas lauter werden, denn gegenüber geht mal wieder die Post ab. Zehn Heimbewohner klopfen, pochen und rasseln, was das Zeug hält. Zu verdanken ist diese Trommelgruppe Herrn Edmond Eduard Abiba. Der Hüne aus dem Kongo wurde eines Tages von der Stadt eingewiesen. Man weiß nicht allzu viel über ihn, er spricht kein Deutsch und hat keine Angehörigen. Doch seit die Betreuer es mit französischen Chansons versuchten, blüht er regelrecht auf. Einmal die Woche besucht ihn nunmehr eine Trommeltherapeutin, und mittlerweile stimmen auch etliche andere Bewohner mit ein.
Vom Baustil her könnte das Heim auch ein Tagungshotel sein, mit seinen großen Fenstern und dem lichtdurchfluteten Atrium, das sich über drei Etagen erstreckt und das sie »die Kö« nennen – sehen und gesehen werden. Jeden Dienstag finden sich ein Dutzend Heimbewohner, Mitarbeiter und Besucher zum türkischen Frühstück ein. Ein fröhliches Picknick im Wohnbereich, mit Suppe, Spinat, Oliven, Käse auf die Hand und türkischem Tee. »Heime sind in der Türkei fast noch ein Tabu«, erklärt Necla Altinok. Die gelernte Hebamme ist seit einigen Jahren im Ruhestand und hilft ehrenamtlich am Sandberg. »Bei uns werden die Alten zu Hause gepflegt. Wenn es doch unvermeidbar wird, dann sagen sie ›Vater ist auf Reha‹. Sie sagen nie ›Vater lebt im Heim‹, aus Angst vor Gesichtsverlust.«
Das türkische Frühstück im multikulturellen Seniorenzentrum Duisburg ist zu einer Institution geworden.
© J. F. Müller / DRK
Sabahaddin Egin hat den Schritt gewagt, wagen müssen. »Computer kaputt«, seufzt er und klopft sich an die Stirn – Schlaganfall. Auch sein Deutsch hat nachgelassen. Wie heißt dieses Wort noch mal? Na egal, jedenfalls erinnert er sich noch an die frühen Jahre: »Ab nach Deutschland – drei Tage und Nächte im Zug.« Mit fünfundzwanzig fing er in Oberhausen als Maschinenschlosser an. »Ich wohnte im Arbeiterheim, wollte ja nur ein paar Jahre bleiben.« Vier Jahrzehnte ist das inzwischen her. Und dann fällt es ihm doch noch ein – Demenz! Demenz, das war das Wort. Deswegen ist er hier.
Ralf Krause betrachtet seine Schützlinge als seine besten Lehrer. »Eine mediterrane Mentalität hilft in einem solchen Haus« – Geschmeidigkeit statt Perfektion, Geselligkeit statt Pedanterie. Als er mit einem griechischen Bewohner Verständigungsprobleme hatte, ging er kurzerhand ins nächste griechische Lokal und bat um Hilfe. Woraus dann eine liebenswürdige Nachbarschaftsbeziehung entstand. Kommunikation ist für Krause überhaupt der Schlüssel zum Erfolg. Bevor sein Team anfing, führte es Teegespräche mit den Alten in der Moschee: Was stellt ihr euch vor? Wie soll so ein Haus aussehen? Sie sprachen auch mit den künftigen Nachbarn, die das Heim nicht haben wollten, die schon die dröhnenden Rufe eines Muezzins befürchteten und Grillorgien im Park. Inzwischen herrscht beste Nachbarschaft. Einer der Wortführer des Widerstands hilft nun aus freien Stücken mit und kehrt jeden Tag in der Cafeteria ein.
Als Jugendlicher hat Krause einmal ein Mofa frisiert,
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