Im Zeichen der Menschlichkeit
Cottbus. Es ist eine Fusion bei laufendem Betrieb. Aus vierzehn Bezirken formen sich fünf ostdeutsche Landesverbände; nur die Vereinigung der beiden Berliner Verbände zieht sich noch etwas länger hin. Auf Orts-, Kreis- und Landesebene entstehen außerdem Patenschaften. Auch wenn sich für die ostdeutschen Rotkreuzkräfte sehr vieles ändert und für die westdeutschen nur wenig, verglichen mit anderen Bereichen verläuft der Zusammenschluss ihrer beiden Gesellschaften bemerkenswert konstruktiv. Ein Meilenstein ist die Delegiertenkonferenz im April 1990, bei der vierhundert Rotkreuzvertreter aus ganz Ostdeutschland die Weichen für die Zukunft stellen. Einer von ihnen ist Christoph Brückner, Professor für Arbeitshygiene in Jena. »Es war ein außerordentlicher Tag. Morgens um sieben fuhr ich los, und abends um neun war ich, zu meiner eigenen Verblüffung, Präsident des DRK der DDR .« Zehn Stunden lang wird leidenschaftlich debattiert. Botho Prinz zu Sayn-Wittgenstein, damals Präsident des bundesdeutschen DRK und als Beobachter zugegen, ist sichtlich fasziniert. So viel Demokratie habe er noch nie erlebt, meint er. Den beiden Präsidenten bleiben nur wenige Monate bis zur Wiedervereinigung. »Eigentlich«, bekennt Brückner, »war das gar nicht zu schaffen, aber irgendwie gelang es doch.«
Motorboot der Wasserwacht Regensburg bei einer Fahrt auf der Donau. Schon 1883 organisierte sich hier die erste »Wasserwehr« im Roten Kreuz.
© J. F. Müller / DRK
KAPITEL 10 »Zurück in die Zukunft«
Der Weg ins 21. Jahrhundert
Der edle Mensch kennt keine schönere Pflicht als die, zu helfen,
mit allem, was er hat, und allem, was er kann.
SOPHOKLES, KÖNIG ÖDIPUS
Gotthard Krause erlebt die Zeitenwende als Krankentransporteur in Zittau. Dreißig Jahre zuvor hat er beim Roten Kreuz angefangen, das damals im gesamten Kreis nur über zwei Fahrzeuge verfügte, dazu für das Lausitzer Bergland über einen Geländewagen mit dem schönen Namen »Garant«. Vier Kinder half Krause in voller Fahrt zur Welt zu bringen, einmal sogar Zwillinge. »Anfangs hatten wir praktisch nichts, noch nicht mal sterile Handschuhe, nur die Sanitätstasche und zwei Schienen. Wir hatten auch keine Ausbildung in Geburtshilfe. Nun lag die Frau vor mir – und patsch!, war das Kind auch schon da. Vielleicht hat ja die harte Federung geholfen …« Obwohl die Krankenwagen teilweise in den Zittauer Robur-Werken hergestellt wurden, wo seine Rotkreuzkameradin Josefa Höhne im Sanitätszug war, gab es häufig Probleme mit den Erzsatzteilen. »Wir mussten ja alles selbst reparieren. Auch unsere Hebebühne haben wir selbst gebaut, da wechselten wir dann nach Feierabend die Achsen.« In den achtziger Jahren standen im ganzen Land etliche Hundert Rettungswagen still, nur weil keine Keilriemen zu bekommen waren. So bequem das Monopol der »Schnellen Medizinischen Hilfe«, wie der Rettungsdienst in der DDR hieß, in mancher Hinsicht war, konnte sie doch infolge Mangelwirtschaft ihren Auftrag oft nur eingeschränkt erfüllen.
Als nach der Wende der Partnerverband aus Villingen-Schwenningen den Zittauern ein Rettungsfahrzeug schenkt, muss Krause sich erst einmal mit der Ausstattung vertraut machen. » EKG , Schockgeber, die ganze Elektronik – wir hatten ja nur Sauerstoff und Lachgas.« Er bildet sich zum Rettungssanitäter weiter und muss sich wie alle Autofahrer im Osten an die stärkeren Maschinen gewöhnen – »Bei uns war hundert schon die Höchstgeschwindigkeit gewesen.« Auch die Konkurrenz bedeutet eine Umstellung: »Nun drängten andere Anbieter auf den Markt; das kannten wir ja nicht. Aber da herrschte in den meisten Gemeinden Konsens: Das Rote Kreuz bleibt!«
Entlang der Transitstrecken kommen nach dem Fall der Mauer »fliegende Notarztwagen« zum Einsatz – umgerüstete sowjetische Militärhubschrauber, die außer Arzt und Helfer auch einen Feuerwehrmann mit Bergungsgerät an Bord nehmen können. Da die Autobahnen immer stärker frequentiert werden und die Zahl der schweren Unfälle steigt, besteht akuter Bedarf. Doch wegen der alliierten Lufthoheit können diese Hubschrauber in Berlin nicht landen. Infolge der unterschiedlichen Funkfrequenzen kommt es auch am Boden zu Blockaden: Rettungsfahrzeuge aus Berlin können nicht im Umland eingesetzt werden und umgekehrt. Selbst in solch technischen Details hallt noch das Echo des Weltkriegs nach.
Die Umbruchszeit wirkt sich auf alle Bereiche der Organisation aus. So wird etwa das vielbeschworene
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