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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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halb Europa verstreut, unterhielten sie ein verzweigtes Emigrantennetzwerk. Dieses spezifische Milieu hat nicht nur die Gründer des Internationalen Komitees geprägt, sondern auch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein alle seine Mitglieder.
    Das Collège Calvin ist für seine hohen Anforderungen berüchtigt; auch Jean-Henri verlässt es schließlich vorzeitig. Gleichzeitig nimmt er erste gesellschaftliche Verpflichtungen wahr und übt sich in wohlgefälligen Werken. Sonntags liest er Straftätern in der Gefängniskapelle aus der Bibel und aus Reiseberichten vor, die zeitlebens seine Lieblingslektüre bilden werden. Bei jemandem wie Gustave Moynier, seinem späteren Weggefährten und Gegenspieler, kann man sich eine derart verwegene Freizeitbeschäftigung kaum vorstellen. Die beiden kennen sich aus der Schule, haben wegen des Altersunterschieds von zwei Jahren jedoch damals keinen näheren Kontakt.
    Mit neunzehn schließt sich Dunant der Genfer Evangelischen Gesellschaft an, einer sektenartigen Freikirche, die eine spirituelle Erneuerung der Reformation propagiert. Schon hier fällt er durch seine Beflissenheit auf, bewährt sich als Animateur und macht sich für eine internationale Ausrichtung stark. 1853 erhält die Gesellschaft berühmten Besuch aus Amerika: Harriet Beecher Stowe, die Verfasserin von Onkel Toms Hütte . Ihr Roman über das traurige Los der Sklaven rüttelt die westliche Welt auf und trägt in der Folge zur Abschaffung der Sklaverei bei. Fortan hat Dunant sie als leuchtendes Beispiel vor Augen, dass Unmenschlichkeit durch Bücher bekämpft werden kann.
    »Der eloquente Herr Dunant«
    Mitte des 19. Jahrhunderts formieren sich europaweit eine Vielzahl von Erweckungsbewegungen und Enthaltsamkeitsvereinen. Aus der Genfer Evangelischen Gesellschaft erwächst der Christliche Verein Junger Männer ( CVJM ), den Dunant mitbegründet. Die jungen Leute organisieren sich selbst, weder Eltern noch Pastoren nehmen Einfluss. Die erste Weltkonferenz in Paris ruft dann 1855 ein »Zentrales Internationales Komitee« ins Leben. Von der föderalen Struktur bis hinein in die Wortwahl werden sich manche Muster bei der Gründung des Roten Kreuzes wiederholen, nicht zuletzt die Entscheidung für den Standort Genf. Freilich wird auch das Muster des Zerwürfnisses wiederkehren: Nachdem er vor allem mit Maximilien Perrot anfangs ein treffliches Gespann bildet, entzweit sich Dunant bald mit seinen Mitstreitern vom CVJM . »Ich mußte ihn mäßigen«, berichtet Perrot. »Schade, daß es ihm an Urteilskraft fehlt! Sonst könnte er ein Juwel für die Union sein, er entfaltet eine erstaunliche Energie.«
    Diese Einschätzung könnte ebenso gut von Gustave Moynier stammen; auch beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz sollte Dunants Übereifer mit der Ordnungsliebe und der Methodik ernsterer Gemüter kollidieren. »Beten wir für ihn, denn er wird in dieser Welt Schwierigkeiten bekommen« – mit diesem Satz sollte Perrot sich noch als Prophet erweisen. Gleichwohl werden sich einige Kontakte aus dieser Zeit über Jahrzehnte hinweg bewähren. Dass etwa an der Rotkreuzbewegung von Anfang an auch Amerikaner beteiligt sind, verdankt sich Dunants Verbindungen aus dem CVJM und der Anti-Sklaverei-Bewegung. Auch die Pastoren Hahn und Wagner, die württembergischen Delegierten auf der Konferenz von 1863, lernt er über die Arbeit im Männerverein kennen.
    Die wenigen Porträts aus jenen Jahren zeigen Dunant als einen jungen Mann aus gutem Hause, unbesorgt und selbstzufrieden, ein wenig dandyhaft wirkend. Stets comme il faut gekleidet, mit Uhrkette, Querbinder und buschigem Backenbart. Weggefährten bescheinigen ihm Liebenswürdigkeit, Sendungsbewusstsein und soziale Begabung. Manchmal wirke er allerdings auch etwas aufdringlich und eigenmächtig, »der eloquente Herr Dunant«.
    Mit Anfang zwanzig tritt er in das Bankhaus »Lullin & Sautter« ein, wobei seine Tätigkeit dort mehr Beschäftigung als Beruf ist. 1853 wechselt er zu einer Tochterfirma, die im Norden Algeriens Landnutzungsrechte erwerben und helvetische Siedler dafür gewinnen soll. Kaufleute, Kapitalgesellschaften, Missionare und Militärs, alle wollen in der neuen Kolonie das große Geschäft machen. Die ganze Dynamik ist den Luftschlössern der New Economy nicht unähnlich. Einige Akteure bringen es zu Macht und Reichtum, viele aber erleiden Schiffbruch. Dunants Engagement in Nordafrika fällt genau in diese Umbruchszeit.
    Von Beginn an fühlt er sich in der fremdartigen

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