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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Stallgeruch des Roten Kreuzes durch. So tragen die Männer auf den Illustrationen zur Ersten Hilfe Uniformen. Und als in einem fiktiven Gespräch unter Frauen die Rede auf die »menschenfreundlichen Genossenschaften« vom Roten Kreuz kommt, erfolgt eine euphorische Reaktion: »Und ob ich dabei bin. Gemeinsinn und Vaterlandsliebe, das gehört sich.«
    Als eine der verbreitetsten Krankheiten der Zeit gilt »Nervosität«, besonders in Großstädten. Schon Kinder zeigen eine Reihe bedenklicher Symptome: »Schreckhaftigkeit, Schüttelbewegungen, Bettnässen, Blinzeln, Jähzorn, Zerstreutheit, Neigung zur Lüge, Tierquälerei«. Unnütze Gemütsaufregung, etwa mit geräuschvollem Spielzeug, sei zu vermeiden, reizlose, leicht verdauliche Kost hingegen anzuraten. Frau Oberamtsrichter Heumann empfiehlt außerdem, nur sparsam zu züchtigen.
    Unter den Autoren finden sich etliche Militärärzte, was bei diesem Thema doch etwas verwundert. Ein ehemaliger Assistenzarzt der Landwehr gibt Ratschläge zur Ernährung des Säuglings (»Glaubt ja nicht, daß vermehrter Biergenuß für das Stillen nützlich sei«), ein Generalstabsarzt doziert in einer Art und Weise über Kinderkrankheiten, dass man den Eindruck bekommt, Kindheit sei fast so gefährlich wie ein Krieg: Kinder verschlucken Knöpfe und ätzende Säuren, erfrieren sich die Ohren und fallen vom Tisch kopfüber auf den Boden.
    Auch wenn manches daran heute humoristisch anmutet – das Büchlein für die Mutter hatte einen ernsten Hintergrund. Um die öffentliche Gesundheit ist es damals schlecht bestellt, auch und gerade in Bayern. Liegt die Säuglingssterblichkeit in Norddeutschland vielerorts unter zehn Prozent, so sind es hier 25, in einzelnen Orten gar 45 Prozent. München galt lange als Typhushochburg; erst um 1890 haben sich die hygienischen Verhältnisse durch Reformen bei Kanalisation, Schlachthäusern, Müllabfuhr und Wasserversorgung verbessert. Die ärgste Geißel dieser Zeit ist die Tuberkulose. In Deutschland sind etwa eine Million Menschen betroffen, 100000 sterben jährlich daran. Sie grassiert vor allem in den Städten, besonders unter der armen Bevölkerung, deren Lebensverhältnisse eine Ansteckung begünstigen und eine effektive Behandlung erschweren. Das Rote Kreuz sagt diesem »inneren Feind« den Kampf an. Dank großzügiger Schenkungen von Geld und Grundeigentum können zahlreiche Heilstätten errichtet werden, bevorzugt in Regionen mit unverschmutzter Luft: im Schwarzwald, im Harz, im Riesengebirge. Trutzburgen des Wohlbefindens, thronen die Sanatorien meist auf bewaldeten Hügeln und signalisieren schon aus der Ferne Geborgenheit und Optimismus. Bald entstehen aber auch im Flachland weitläufige Anlagen, so in Grabowsee und Hohenlychen nördlich von Berlin.
    Parallel zu den Sanatorien werden Waldschulen für kränkliche Kinder eröffnet, die wegen der Ansteckungsgefahr nicht zusammen mit gesunden Kindern unterrichtet werden können, aber auch nicht in ihren engen Wohnungen bleiben sollen. Für ein bis zwei Monate besuchen sie eine solche Waldschule, bis sich ihr Befinden so weit bessert, dass sie wieder ihr gewohntes Leben führen können. Eine der ersten dieser Einrichtungen entsteht in Mönchengladbach. Die Kinder fahren morgens mit der Kleinbahn hinaus in den Kiefernwald. Dort erhalten sie ein zweites Frühstück, das für manche das erste gewesen sein dürfte. Das Gebäude erinnert an ein nordisches Blockhaus, die Klassenzimmer sind mit Märchenszenen bemalt. Wobei der Unterricht nach Möglichkeit im Freien stattfindet. Nach dem Mittagessen wird Liegekur gehalten. Es folgen Spiele oder Spaziergänge, Barren und Kletterstangen sorgen zusätzlich für Bewegung. Abends gibt es nach der Vesper noch einen Becher Milch, dann fahren die Zöglinge mit der Kleinbahn wieder nach Hause.
    Die Kaiserin im Schrebergarten
    Ebenfalls »zur Hebung der Volksgesundheit« richtet das Rote Kreuz 1901 in Berlin-Charlottenburg die erste Kolonie mit Kleingärten ein. Ziel ist »die Erholung des Arbeiters und seiner Familie in frischer Luft, die Besserung der Ernährung und wirtschaftlichen Lage, die Kräftigung der Jugend, die Kräftigung des Familiensinnes und die Ablenkung vom Wirtshausbesuch«. Diese sogenannten Arbeitergärten sollen dem rasch zunehmenden Proletariat »ein erfrischendes Gegengewicht gegen das Wohnen in der Mietskaserne« bieten. Bald bestehen allein in Berlin mehrere Dutzend Kolonien mit fast zweitausend Laubenpiepern; andere Großstädte folgen

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