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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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betroffen. Vor allem die winterlichen Sturmfluten bringen sie in schwere Bedrängnis. Haushohe Wogen überfluten Dünen und Dämme, dringen in Ställe und Häuser ein, spülen Hab und Gut fort. Dampfer stranden, Fischerboote und Netze werden ramponiert. Zu Silvester 1904 reißt ein Orkan die neue Badeanstalt von Misdroy in Stücke und spült auch noch fünfzehn Boote auf die Trümmer. In Peenemünde steht die Schule unter Wasser, obwohl sie an vermeintlich sicherer Stelle errichtet wurde. Der Kreisverein veröffentlicht Hilferufe in großen Zeitungen, die Bäderdirektionen schreiben ihre Stammgäste an. Rund 9000 Mark kommen so zusammen, dazu »Allerhöchste Gnadengeschenke« des Kaisers und der Kaiserin.

    Früh schon sind Rotkreuzhelfer auch bei »Landeskalamitäten« im Einsatz. Hier um 1900 bei Hochwasser am Unterlauf der Weichsel.
    © DRK
    Auch wenn diese Art der Mittelbeschaffung heute nostalgisch anmutet – Lotterien, Basare und Altkleidersammlungen gehören nach wie vor zum Repertoire des Roten Kreuzes. Auch die Glücksbuden gibt es noch. Eine steht jedes Jahr auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt, vermutlich schon seit der Kaiserzeit. Marianne Thaller ist seit 1958 im Einsatz. »Mädchen für alles« sei sie gewesen, beherrsche »das kleine und das große Helfer-Einmaleins«. Sie leistet Betreuungsdienste im Altenheim, hilft beim Blutspendedienst und treibt unermüdlich Geld auf, bei Straßensammlungen, auf der Spielwarenbörse und bei der Tombola. Befragt, ob sie auf Auslandseinsätzen dabei gewesen sei, antwortet sie: »Nur aamal in München.«
    Warum ist sie all die Jahre dabeigeblieben? Warum stellt sie sich sechzig Stunden im Monat ehrenamtlich zur Verfügung? Als Antwort genügt ihr ein Wort: »Nächstenliebe«. Damit sei doch alles gesagt. Auch wenn der alte Rotkreuzgeist im Laufe der Jahre gelitten habe, möchte sie sich keinesfalls zur Ruhe setzen. »Damit ich ned zu Hause sterb.«
    Gut eingemummt und mit gefütterten Stiefeln hält Marianne Thaller die Stellung. Der Stand liegt günstig an der Flanke des Marktes. Für hundert Punkte winken ein Messerblock oder ein Luftbefeuchter, für fünfzig ein Teddybär oder ein Spielzeugauto, für zwei ein Kugelschreiber. Rund 1200 Lose verkauft sie am Tag, am Wochenende auch mehr, zu fünfzig Cent das Stück. »Die Leute wollen ein gutes Werk tun, aber schon auch was gewinnen.« – »Ist da was drin?«, fragt hoffnungsfroh ein junger Mann. »Des waas i ned«, erwidert Frau Thaller wahrheitsgemäß und mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme. Die Menschen erwarten immer viel zu viel vom Leben.
    Die Lichter funkeln, die Abendglocken läuten. Von zwei Kaltblütern gezogen, rollt eine Postkutsche vorüber. Der Postillion stößt ins Horn, und für einen Moment glaubt man sich zwei Jahrhunderte zurückversetzt. Der Weihnachtsmarkt weckt noch im hartgesottensten Erwachsenen das Kind. In Kindern dagegen große Wünsche; Marianne Thaller erlebt regelmäßig kleine Tragödien. »Schulklassen sind am schwierigsten. Wehe, einer gewinnt etwas und die anderen nicht. Der ganze Tag ist im Eimer.« Da hilft es auch nur bedingt, dass sie sich zur Advokatin des Realitätsprinzips macht und den Enttäuschten erklärt, dass man nicht immer nur gewinnen kann.

Städtische Mütterberatungsstelle für Säuglingsfürsorge in Trier, um 1910. Auch Ammen und Kindermädchen kommen zur Beratung.
    © DRK

    In Bekleidungsstellen wie hier in Mülheim an der Ruhr können sich ärmere Menschen mit dem Nötigsten eindecken.
    © DRK

In Swinemünde widmet man sich seit der Jahrhundertwende verstärkt der »Volkshygiene«. Die Damen verteilen Merkblätter zur Säuglingsfürsorge und organisieren einwandfreie Kindermilch. Ein Verleihdienst für Krankenpflegeartikel stellt bedürftigen Patienten Badewannen, Wärmflaschen und Irrigatoren zur Verfügung, die Freimaurerloge spendet einen Rollstuhl. Die »Brockensammlung« verteilt alte Kleidung, Hüte, Stiefel an arme Familien, »sofern Gewähr vorhanden ist, daß diese Stücke auch wirklich getragen und nicht etwa verkauft werden«. Wohingegen die Auszeichnung treuer weiblicher Dienstboten heute kein Pendant mehr haben dürfte: Nach zehnjähriger Dienstzeit erhält die Hausgehilfin ein Diplom, nach fünfzehn Jahren ein Diplom und eine silberne Brosche, nach zwanzig Jahren ein Diplom und eine bessere silberne Brosche. Übertriebene Freigebigkeit wird man dem Verein in dieser Hinsicht nicht vorwerfen können. 1906 wird eine

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