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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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»Kinderbewahranstalt« eingerichtet. Trotz des etwas befremdlichen Namens erfüllt sie die Funktionen einer heutigen »Kita« und ist für die damalige Zeit ebenso fortschrittlich wie der Samariterinnenkursus beim Kreisarzt. Ein Drittel der Damen erklärt sich bereit, im Mobilmachungsfall in einem Reservelazarett zu helfen. Der Frauenverein ist sich also durchaus bewusst, dass sich die Zeiten ändern können. 1907 trifft Wilhelm II . in Swinemünde noch seinen Cousin Zar Nikolaus II . Sieben Jahre später werden die beiden Monarchen ihre Länder in einen Krieg gegeneinander hetzen.
    Bis ans Ende der Welt
    So, wie das Rote Kreuz sich Ende des 19. Jahrhunderts neue Arbeitsfelder erschließt, so dehnt es sich auch in neue Territorien aus. Der »Frauenverein für Krankenpflege in den Kolonien« beschickt Stationen von Togo bis Samoa mit Pflegerinnen, und in Südwestafrika errichtet er ein eigenes Krankenhaus. Allein für den Weg von der Küste nach Windhuk sind die Schwestern im Ochsengespann drei Wochen lang unterwegs.
    Deutsche Auswanderer verbreiten die Ideen des Roten Kreuzes damals weit über die Kolonialgebiete hinaus. So erhält Gustave Moynier 1904 einen Brief aus Punta Arenas im äußersten Süden Chiles. Absender des Schreibens ist ein Hotelier mit dem typisch chilenischen Namen Siegfried Braun. Mit echtem Rotkreuz-Enthusiasmus beantragt er die Anerkennung der Ortsgruppe als nationale Hilfsgesellschaft. Chile hatte zwar die Konvention im Jahr 1879 anerkannt, aber nie eine eigene Gesellschaft gegründet.
    Braun stellt die überwiegend deutschstämmigen Vereinsmitglieder vor und schickt eine Inventarliste, wie sie sich auch ein preußischer Zweigverein nicht besser wünschen könnte. »Wir machen unsere Arbeit, wenn sie nötig wird.« Nur eine Kleinigkeit fehlt, und natürlich weist Moynier seinen Briefpartner am Ende der Welt darauf hin: die Approbation der Regierung. In seiner Antwort gibt Braun keine klare Begründung, sie lässt sich aber zwischen den Zeilen erahnen: Die Hauptstadt ist weit, 2000 Kilometer weit, Regierung und Militär zeigen an derlei Dingen kein Interesse, die Siedler bleiben auf sich gestellt. Das Städtchen liegt an der Magellanstraße, damals eine der wichtigsten Schiffsrouten der Welt, freilich auch eine der gefährlichsten. Tatsächlich stellt der Verein seine Leistungsfähigkeit mehrfach unter Beweis. Im Russisch-Japanischen Krieg schickt er ein Versorgungsschiff diagonal über den Pazifik. Und als ein verheerendes Erdbeben Valparaiso erschüttert, sammelt das Damenkomitee von Punta Arenas (dem unter anderem Ulrike Braun, Zilly Braun, Josefina Braun und Lucia Braun angehören) Geld- und Sachspenden, woraufhin sich vierzehn Helfer auf den Weg ins Notstandsgebiet machen.
    All diese Einsätze unternehmen die wackeren Chilenen in eigener Regie, während Moynier, den Regeln der Institution folgend, auf den vorgeschriebenen Formalitäten beharrt. Ob er dabei jemals an die Anfänge der Bewegung zurückgedacht hat? Als er und seine Mitstreiter eilends eine Genfer Sektion des noch gar nicht bestehenden Schweizerischen Roten Kreuzes gründeten, nur um Louis Appia und Charles van de Velde als Delegierte in den Krieg nach Dänemark schicken zu können? Im Falle von Puntas Arenas zieht sich die Korrespondenz über zwanzig Jahre hin. Während Señor Braun und seine Mitstreiter wertvolle Arbeit leisten und auch die Seenotrettung übernehmen, irren sie zugleich durch den Paragraphendschungel. Je nach den Einsprüchen des Genfer Komitees ändert sich ihr Briefkopf: »Chilenisches Rotes Kreuz«, »Rotes Kreuz der Provinz Magellanes«, »Rotes Kreuz von Feuerland«. 1909 erkennt das Internationale Komitee den Verein schließlich an. Da sich jedoch die Bestätigung durch die Regierung weiter in die Länge zieht, dauert es noch einmal weitere fünf Jahre, bis alle Formalitäten erledigt sind. Dann bricht der Erste Weltkrieg aus – und niemand denkt mehr an Feuerland.
    1919 schickt Genf eine Anfrage nach Chile. Hocherfreut antwortet daraufhin ein Frauenverein vom Roten Kreuz in Santiago. Merklich verunsichert fragen die Schweizer beim chilenischen Justizministerium an, welche Gesellschaft denn nun die staatlich anerkannte sei. Die Antwort kommt dann aber vom Kriegsminister: Beide Gesellschaften würden anerkannt, repräsentiert würde das Chilenische Rote Kreuz jedoch vor allem durch ihn. Selten dürfte das Komitee derart perplex gewesen sein. Der Frauenverein lässt schließlich der älteren Gesellschaft

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