Im Zeichen der Menschlichkeit
den Vortritt, ein neuer Kriegsminister zeigt etwas mehr Einsicht, und so erhält das Chilenische Rote Kreuz mit Sitz in Punta Arenas endlich die höheren Weihen.
Unter Beschuss
Zu mehreren Kolonialkriegen entsendet der deutsche Zentralverein, unterstützt vom Auswärtigen Amt, um die Jahrhundertwende großangelegte Hilfsexpeditionen. Den Auftakt bildet der Burenkrieg in Südafrika. Obwohl tief im Inneren des Kontinents gelegen, haben sich Transvaal und der Oranje-Freistaat durch Gold- und Diamantenfunde rasch entwickelt. Den Briten, die die Kapkolonie regieren, sind die beiden Burenrepubliken ein Dorn im Auge, an ihren Bodenschätzen wären sie dann aber doch interessiert. Im Oktober 1899 kommt es zum Krieg. Während die englischsprachige Welt naturgemäß die Briten unterstützt, steht die Öffentlichkeit in Mittel- und Nordeuropa überwiegend aufseiten der Buren. In vielen Ländern bilden sich Freiwilligenkorps. In Berlin gründen Kolonialfreunde und prominente Vertreter der Intelligenz den Burenhilfsbund. Die Stimmung erinnert – wenn auch mit anderen politischen Vorzeichen – an die Aktionsgruppen während des Bürgerkriegs in Nicaragua in den 1980er Jahren.
Für die medizinische Versorgung der Kolonien spielt das Rote Kreuz eine wichtige Rolle. Hier ein Sanitäter aus Deutsch-Südwestafrika in voller Montur.
© DRK
Als Kolonialmacht in Südwestafrika ist Deutschland von diesem Konflikt indirekt mitbetroffen. Auch leben viele Deutsche in den Burenstaaten, wo Ortsnamen wie »Heilbronn« und »Heidelberg« keine Seltenheit sind. Drei Ärzte, vier Schwestern und vier Pfleger machen sich von Hamburg aus auf den Weg; eine zweite Expedition folgt wenige Wochen später. Beide führen ein komplettes Feldlazarett mit. Die politische Bedeutung der Mission zeigt sich auch darin, dass die Helfer von Kaiser Wilhelm II . verabschiedet und von Paul Krüger, dem Präsidenten der Südafrikanischen Republik, willkommen geheißen werden.
Mit einem Postdampfer der deutschen Ostafrika-Linie geht es zunächst bis Moçambique. Binnen 24 Stunden bringt ein Sonderzug die Helfer von Lourenço Marques nach Pretoria; auch heute geht es kaum schneller. Fast die gesamte Stadt ist elektrifiziert, verfügt über Straßenbahnen, Telefonnetz und eine moderne Wasserversorgung. Expeditionsleiter Hermann Küttner, Chirurg in Tübingen, besucht die etwa 1500 britischen Gefangenen in Pretoria. Die Mannschaften sind auf der Rennbahn untergebracht, die Offiziere in einer Schule. Die einen spielen Kricket, die anderen Tennis, es herrschen vergleichsweise humane Bedingungen. Einer der Insassen ist ein junger Kriegsberichterstatter namens Winston Churchill. Tags darauf gelingt es ihm, aus dem Camp zu fliehen. Er schlägt sich bis zur Küste durch, wofür er später zu Hause als Held gefeiert wird.
Zur Ausrüstung der Expedition gehört ein Röntgenapparat – einer der ersten überhaupt, die in Afrika zum Einsatz kommen. Und zwar mitten im Busch, in Jacobsdal, einem strategisch bedeutsamen Ort unweit der Diamantenminen von Kimberley. Petroleummotor und Dynamomaschine werden mit Ochsengespannen aus einer Goldmine herbeigeschafft. Jacobsdal liegt nicht nur unmittelbar an der Front, die Front fegt sogar mehrfach darüber hinweg. Das deutsche Feldlazarett, in dem Buren und Engländer friedlich nebeneinander liegen, gerät dabei unter Beschuss. Eine Granate kracht ins Dach – gottlob ein Blindgänger. Küttner rühmt die Kaltblütigkeit der Schwestern, »welche aus den exponierten Räumen nicht fortzubringen waren und bei ihren Verwundeten ausharrten, trotzdem die Kugeln rechts und links neben ihnen einschlugen«. Briten wie Buren schießen mit neuen, kleinkalibrigen Waffen, die den Medizinern insofern als »humaner« gelten, als die Wunden, die sie verursachen, weniger eitern. Es kommen aber auch hochexplosive Lydditbomben zum Einsatz, gegen die sich ebenso internationale Proteste erheben wie gegen die Internierung der burischen Zivilbevölkerung in riesigen Camps. Liest man heute deren Bezeichnung, durchzuckt es einen wie bei einem elektrischen Schlag: Konzentrationslager. Und doch steht damals auf Tausenden deutscher Hilfspakete als Bestimmungsort »Concentration Camp«.
Mitglieder der dritten deutschen Expedition im Burenkrieg. Wie alle Auslandsmissionen findet sie unter reger Anteilnahme der Öffentlichkeit statt.
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Allgemein wird Großbritannien schwerer Verletzungen der Genfer Konvention wie auch der Haager Landkriegsordnung
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