Im Zeichen der Menschlichkeit
trotz ihres kaputten Knies als erste Frau den Fujiyama. Eine der vielen weiblichen Ausnahmegestalten in den Annalen des Roten Kreuzes, getrieben von unersättlicher Neugier, einem eisernen Willen und einem stolzen Herzen.
Japan hatte bereits 1877 eine nationale Gesellschaft gegründet. Da es häufiger von Naturkatastrophen heimgesucht wird, kommt dem Zivilschutz besondere Bedeutung zu. Bereits vor dem Krieg zählt das Rote Kreuz dort weit über eine Million Mitglieder. Die Frauen nehmen ihre Aufgaben besonders ernst und kommen auch nach der Heirat ganz selbstverständlich ihren Pflichten nach. Nach Maßgabe der Konvention gerät der Konflikt mit Russland denn auch zu einem der bisher »regulärsten« Kriege. Von einzelnen Verstößen abgesehen verhalten sich die japanischen Soldaten nachgerade ritterlich.
Als Sturzenegger Henry Dunant nach ihrer Rückkehr von der Fernwirkung seiner Ideen berichtet, ist dies eine letzte Genugtuung für ihn. Geistig noch rege, baut er in den letzten beiden Jahren doch zusehends ab. Am 30. Oktober 1910 verzeichnet das Krankenhausjournal schließlich seinen »Austritt«. Todesursache: Altersschwäche. Einige Monate zuvor ist auch Gustave Moynier gestorben. Die Ära der Gründerväter des Roten Kreuzes geht zu Ende.
Im einstigen Krankenhaus von Heiden, in dem heute das Dunant-Museum untergebracht ist, wird der Lebensweg dieses weltberühmten Unbekannten nachgezeichnet. Auch einige Reliquien sind ausgestellt: Zirkel und Taschenuhr, Brille und Briefwaage, Spazierstock und Sessel. Gäste aus aller Welt schreiben sich ins Stammbuch ein. Kurioserweise ist Jakob Kellenberger, bis 2012 Präsident des Internationalen Komitees, in ebendiesem Haus zur Welt gekommen, als es noch eine Klinik war.
Seit Dunants hundertstem Todestag vollzieht sich in Heiden eine zweite Wiederentdeckung. »Wir sehen ihn als einen Mitbürger, der hier gewirkt hat«, erklärt Maria Schnellmann vom Dunant-Verein. »Er war ein außergewöhnlicher Mensch, erfüllt von heiligem Feuer.« Der Konzeptkünstler H. R . Fricker hat an der Seeallee einen massiven Tisch in Form eines roten Kreuzes installiert, mit vier weißen Sitzbänken. Ein »Ort für private Friedensgespräche«, Gestalt gewordene Neutralität. Wer hier Platz nimmt, liest die in die Platte eingelassene »Heidener Konvention« zur »Beilegung zwischenmenschlicher Konflikte«. Und kann sich üben in der Kunst des Kompromisses. Weitere Tische stehen im Innenhof des DRK -Generalsekretariats in Berlin, in Stuttgart und in Vorarlberg. Dass Dunants Feuer bis heute weiterbrennt, bestätigt auch Doris Baschnonga vom Museum. »Neulich hatte ich Berufsschüler aus dem früheren Jugoslawien hier«, erzählt sie. »Die kamen mit langen Gesichtern an, oje, ein Museum. Am Ende habe ich sie kaum rausgekriegt. Die saßen am Boden, sprachen über Krieg und diskutieren über diesen coolen Typen namens Dunant.«
Dessen letzter Spleen es war, sich nicht in Heiden, sondern in Zürich beisetzen zu lassen. Eine Feuerbestattung, der Anonymität wegen. Doch zwanzig Jahre später ließ der dortige Sanitätsverein ihm ein pompöses Grabmal errichten: eine Pietà mit zwei germanischen Jünglingen, halbnackt der eine, der andere fast zur Gänze. Seither ruhen die sterblichen Überreste Henry Dunants gleich hinter der Friedhofsmauer, an einer vielbefahrenen Straße in einer fremden Stadt, in der er nie gewesen ist und niemanden gekannt hat. Auf ewig im Exil.
Die Karawane der Helfer
Das bessere Denkmal sind die Taten, die Akte des Beistands und der Menschlichkeit, die Rotkreuzhelfer in aller Welt im Geist von Castiglione leisten. Eine der spektakulärsten, aber auch verlustreichsten deutschen Expeditionen macht sich im Frühjahr 1912 auf den Weg nach Tripolitanien im heutigen Libyen. Italien will diese entlegene Provinz in einem heute fast vergessenen Kolonialkrieg dem Osmanischen Reich entreißen. Von Hamburg aus schiffen sich fünfzehn Ärzte und Pfleger nach Tunis ein.
Mit 330 Kamelen ziehen sie schließlich eine Woche lang von der tunesischen Grenze durch unwegsame Steppe ins Hochland. Weder Sandstürme noch Steilhänge halten sie auf. »Ein solcher Transport wurde noch nie unternommen«, urteilt ein englischer Reporter, der sich der Expedition spontan anschließt. Die Helfer führen ein komplettes Lazarett mit, inklusive Röntgenapparat, Apotheke und bakteriologischem Laboratorium, dazu Kochherde, Waschkessel und Wohnzelte. Unterwegs tauschen sie aus Sicherheitsgründen das Emblem
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