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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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vor.Dort empfängt sie die Zarin, gebürtige Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt, in Schwesterntracht.
    Zu wichtigen Verbündeten auf dieser Mission werden der schwedische Botschafter Edvard Brändström und seine Tochter Elsa, die sich als »Engel von Sibirien« zu einer humanitären Legende entwickeln wird. Ihr Buch Unter Kriegsgefangenen in Rußland und Sibirien gerät zur Chronik einer Höllenfahrt. Die Wirklichkeit der Lager spricht sowohl dem Geist wie den Buchstaben der Genfer Konvention Hohn. In vielen kommt die Hälfte der Internierten ums Leben, in manchen sind es zwei Drittel. Ärzte und Sanitäter werden genauso eingesperrt wie Soldaten. Willkür, Korruption und Grausamkeit erreichen Dimensionen, die die Menschheit so noch nicht gekannt hat. Die humanitären Deklarationen des zaristischen Regimes erweisen sich als blanke Propaganda. Tolstoi hatte nur zu recht.
    Auf ihren Visitationsreisen bewältigen die drei Abordnungen ein enormes Pensum. Sie besuchen 48000 Gefangene, verteilen über eine Million Mark und nehmen 37000 Briefe in Empfang. Erschüttert schildert Gräfin Üxküll ihre Eindrücke: »Von Stacheldraht umgeben, Sibiriens eisiger Kälte ausgesetzt, ohne Nachricht von den Angehörigen, fristeten sie ihr Dasein. Fleckfieber und Typhus rafften Unzählige dahin; 600000 bedeckt die russische Erde.« Weitere Missionen folgen. Manche Missstände vermögen sie zumindest zu lindern. Hier erhalten die Männer saubere Kleidung, dort werden die Baracken desinfiziert. Schon ein einfaches Frage-und-Antwortspiel kann manch triste Stunde überbrücken, ein Buch kann ein Fenster in eine andere, bessere Welt öffnen. Dort, wo Hilfe ankommt, bringt sie auch moralische Unterstützung. »Nicht die Gaben allein, sondern auch die Art, wie man sie uns gibt, sind von Wert«, bekennt ein Soldat gegenüber der Gräfin. Doch in der Praxis bleibt es oft bei der symbolischen Geste des Besuchs. Kaum sind die Schwestern wieder abgereist, gehen die Schikanen weiter.
    Der Gefreite Wilhelm Brinkmann aus Nienburg an der Weser erlebt einen solchen Besuch im äußersten Osten Sibiriens. Für ihn und seine Kameraden ist es nur eine flüchtige Episode in einem vierjährigen Martyrium. Schon den Transport, eingepfercht in ungeheizten Viehwaggons, haben viele nicht überlebt. »In den vollgestopften Wagen fühlen wir uns wie die Löwen und Tiger in einem Tiergarten, die auch darüber grübeln werden, ob sie wohl ihr ganzes Leben hinter Gittern verbringen müssen. Wie sie, warten auch wir auf die tägliche Nahrung, und wie sie brüllen auch wir, wenn sich die Wärter mit dem Essen nähern. Der Hunger treibt uns zu Verzweiflungstaten.« Im Lager tragen sie dann bei vierzig Grad minus nur mehr Lappen an den Füßen und schlafen auf dem Lehmboden. Die Sterblichkeitsrate ist derart hoch, dass hundert Mann allein zum Ausheben der Gräber benötigt werden. An der Front sind die Überlebenschancen höher.
    Eines Tages bekommen die Gefangenen Besen ausgehändigt, um die Baracken zu säubern. Eine Inspektion wird angekündigt: Magdalene Gräfin von Walsleben, eine der drei Abgesandten. »Sie ist für uns ein heiliges, überirdisches Wesen, und wir sind verhungerte, von Ungeziefer starrende Halbtiere.« Sie hört sich die Klagen der Gefangenen an, ermahnt den Kommandanten und rauscht wieder davon in die Taiga. An den Zuständen im Lager ändert sich nichts. Petersburg ist unendlich weit, und selbst wenn man dort gewillt wäre, für eine menschenwürdigere Unterbringung zu sorgen, in den Lagern herrschen eigene Gesetze, oder vielmehr eigene Gesetzlosigkeit. Geldsendungen und Pakete werden weiterhin unterschlagen, protestierende Gefangene weiterhin eingekerkert, die fürchterlichen hygienischen Bedingungen weiterhin beibehalten.
    Was Brinkmann und viele Kameraden schließlich rettet, ist eine sieben Jahre alte Zeitung, die er in einer Baracke findet: die Kiautschou-Post aus Tsingtao, der bis dahin deutsch verwalteten, nun aber japanisch besetzten Hafenstadt in China. Aufs Geratewohl schreibt er an die Inserenten von damals: einen Hotelier, eine Ladenbesitzerin, einen Wurstfabrikanten. Wohl selten haben Kleinanzeigen so viele Leben und Seelen gerettet. »Nun kamen dauernd Pakete …« Bald schicken auch Auslandsdeutsche in Yokohama und Schanghai Kleidung und Nahrungsmittel. Sie werden weniger unterschlagen, vermutlich weil sie aus mit Russland verbündeten Staaten kommen, und fast noch aus der Nachbarschaft dazu.
    In den Wirren des russischen

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