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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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der Rolle des tatkräftigen »Kriegserleichterers«, wie Bertha von Suttner es ausgedrückt hatte, nicht statt. Auch darin ist das Rote Kreuz ein Spiegel der Zeit, leugnet die große Mehrheit der Gesellschaft doch die deutsche Schuld. Nicht dass der Krieg geführt wurde, sondern dass er verloren wurde, gilt als der eigentliche Skandal. Ein ähnlicher Unwille wird sich auch an späteren weltgeschichtlichen Wendepunkten manifestieren. Nicht die Aufrichtigkeit der Institution zählt, sondern ihr Fortbestand um jeden Preis. Als wäre das Rote Kreuz sein eigener guter Zweck.
    Die enge, privilegierte Verflechtung mit dem Staat erweist sich nun als Hypothek. Das Rote Kreuz wird als Teil des alten, abgewirtschafteten Regimes angesehen. Die bewährten Seilschaften laufen ins Leere; tragfähige Verbindungen zu den Organen der Republik müssen erst aufgebaut werden. Neuer Vorsitzender des Zentralkomitees wird Joachim von Winterfeldt. Als Landesdirektor der Provinz Brandenburg ein hoher, weithin geschätzter preußischer Beamter, der 1918 die Deutschnationale Volkspartei mit aus der Taufe hebt. Konservativ und kaisertreu, schreibt er nebenbei Gedichte und spielt Klavier. Als Kind hatte er während des Krieges von 1870 / 71 Scharpie gezupft, hatte an der Hand seines Vaters, dem Begründer des Zweigvereins Prenzlau, Lazarette und Kriegsgefangene besucht. Später erweitert er seinen Namen zu Winterfeldt-Menkin, nach dem Stammsitz der Familie in der Uckermark. Er ist etabliert genug, um von den alten Eliten als einer der Ihren akzeptiert zu werden, aber integer genug, dass man ihm den Brückenschlag zur neuen Führungsschicht zutraut.
    In seinen Memoiren charakterisiert er diese Übergangsjahre später als »die Zeit des Wirrwarrs«. Bewusst lässt er im Ungefähren, wer ihn damals berufen hat. »Man war an mich herangetreten …« Sein Enkel Kaspar von Oppen, heute Ehrenpräsident des Brandenburgischen Landesverbandes, kann das Geheimnis lüften: »Die Berufung ging von Friedrich Ebert aus.« Was allerdings niemand wissen sollte, bestanden doch auf beiden Seiten erhebliche Berührungsängste. Wäre publik geworden, dass ein der SPD angehörender Reichspräsident und ein preußischer Junker als Vertreter des monarchistisch geprägten Roten Kreuzes miteinander kungelten, wären beide Seiten in Erklärungsnot geraten. Unter größter Geheimhaltung bringt daher der Hausmeister der brandenburgischen Landesvertretung die Briefe und Dossiers direkt zum nahen Reichspräsidialamt. Ebert hat in diesen turbulenten Zeiten immer eine Pistole griffbereit im Schreibtisch liegen. Sein Büroleiter ist damals der Diplomat Rudolf Nadolny, der zugleich die Verbindung zum Auswärtigen Amt hält. 1945 wird er für kurze Zeit zum nächsten Hoffnungsträger des Roten Kreuzes werden, ein neuer Winterfeldt nach einem neuen Weltkrieg. Die Wege der Macht, sie folgen eigenen Gesetzen, unabhängig vom Charakter des jeweiligen Regimes.
    Winterfeldt soll eine einheitliche Vereinsstruktur schaffen und eine neue Satzung erarbeiten. Im Januar 1921 wird das »Deutsche Rote Kreuz« in Bamberg gegründet, mit ihm als Präsidenten. In der Satzung sind »die Kriegsaufgaben durch die als selbsttätigen Hauptzweck in den Vordergrund tretenden Friedensaufgaben ersetzt«: Notstände im In- und Ausland, Hebung der Volksgesundheit, Seuchenbekämpfung, Rettungsdienst. Erst an letzter Stelle deutet die »Fürsorge für Verwundete und Gefangene« mögliche Kriegseinsätze zumindest an. Intern aber stellt Winterfeldt klar, »daß wir keineswegs die Vorbereitung für den Krieg allzu sehr zurücktreten lassen dürfen. Wir würden uns einer gefährlichen Utopie hingeben, wenn wir meinten, daß wir einer ewigen Friedensperiode gegenüberständen.«
    Der Krieg hat auch seelisch eine invalide Gesellschaft hinterlassen. »Wie ist unsere Zeit so dunkel und ohne Trost. Wer rettet Deutschland?«, fragt der designierte Präsident in seiner Neujahrsbotschaft 1921. Die Antwort gibt er gleich selbst: »Vor fast sechzig Jahren traten fünf Männer in Genf zusammen …« Auf eine heilende, therapeutische Wirkung hoffend, beschwört er das Mysterium des Roten Kreuzes.
    Da sie noch vor der Reichsgründung entstanden ist, präsentiert sich die Organisation in Deutschland als ein ausgeprägt föderales Gefüge. Trotz der gestärkten Führung behalten die Landesvereine viel von ihrer Selbstständigkeit, und die flächendeckende Präsenz des Roten Kreuzes bleibt erhalten. Zugleich dient die

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