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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Gewehre in jedem Krankensaal bereitgestellt werden. Schon seit Längerem beobachtet Schwester Helene ein Nachlassen nicht nur der Kampfmoral, sondern der Moral überhaupt. Was sich unter anderem in erhöhtem Alkoholkonsum und einer sprunghaften Zunahme der Salvarsankuren zur Syphilisbehandlung niederschlägt. Als Schwester versteht sie sich durchaus auch als moralische Instanz. »Soviel wir an Halt zu geben vermögen, wird getan. Schon durch unser Bleiben und Dasein zwingen wir die Männer, an deutsche Frauen, an die ihrigen daheim zu denken.«
    Eine Welt ohne Licht
    Im Herbst 1917 verschlägt es eine junge Studentin der Kunstgewerbeschule München an einen ungewöhnlichen Kriegsschauplatz. Gunta Stölzl hat sich weder aus medizinischen Ambitionen noch aus übergroßem Helferdrang oder Hurrapatriotismus zum Roten Kreuz gemeldet. Auf ihre stille, philosophische Art versucht sie einfach, in einer aus den Fugen geratenen Zeit etwas Sinnvolles zu tun. Sie sieht ihre Hilfe, durchaus auch im künstlerischen Sinn, als ein »gutes Werk« an. »Ich bin so viel reicher geworden, habe so viel Schönes gelernt«, befindet sie nach der Schnellausbildung in einem Reservelazarett, auch wenn das Elend dort sie anfangs schockiert. Direkt vom Lehrgang wird sie dann nach Italien beordert.
    Um den bedrängten Österreichern beizustehen, schickt Deutschland eine ganze Armee an die Isonzo-Front, und Rotkreuzeinheiten dazu. Während sich ein junger Offizier namens Erwin Rommel dort einen Orden verdient, behandelt Gunta Stölzl seine weniger glücklichen Kameraden. »Es gab so wahnsinnige Schmerzen, so furchtbare Verletzungen. In jedem Saal lagen einige, die nie wieder hinaustreten werden in die Sonne. Diese Hoffnungslosen, die man beständig anlügt – das ist das Furchtbarste.«
    Der erste Heimaturlaub gewährt ihr keine Erholung; sie merkt, dass sie vom Ausnahmezustand fast abhängig geworden ist. Also doch wieder zurück ins Fegefeuer des Krieges? Als sie nach Frankreich geschickt wird, detoniert am ersten Tag eine Granate im Hof des Lazaretts und tötet drei Menschen und ein Pferd. Dennoch fürchtet sie nie um ihr Leben, zumindest »nicht am Tage, wenn man vor seinen Leuten steht«. Als könnte der Dienst einen imaginären Schutz gegen äußere Gefahren bieten. Zugleich unterminiert er aber das mühsam bewahrte seelische Gleichgewicht: »Dieses Schreien, diese Schmerzen, die Wände hallten nur so. Manchmal glaubte ich, ich sei am Ende.«

    Dank eines Suchhunds hat eine Sanitätspatrouille diesen versprengten Verwundeten gefunden. Doch auch die Helfer leben gefährlich.
    link: © A .Grohs / DRK; rechts: © DRK
    Das Schicksal eines erblindeten Soldaten, der wie sie Kunst studiert hat, geht ihr ganz besonders nahe. »Was kann man so einem Menschen für einen Trost geben«, fragt sie bestürzt, »er hat ja alles verloren, was ihm das Leben wert machte. Und ohne das Licht, was ist da der Mensch!« Der hoffnungslose Zustand so vieler junger Männer stürzt sie in ernste Krisen: »Alles Schöne, das einst war, drängt auf mich ein und fragt: Warum? Immer warum? Ich möchte mich hineinwühlen in das hohe Gras und weinen.« Zugleich aber schöpft sie aus dem hundertfachen Elend die Kraft, über diese Krisen hinwegzukommen. Denn eben dafür wird sie gebraucht.
    Der Rufer in der Wüste
    Die meisten Auslandseinsätze deutscher Hilfsgesellschaften gehen in die verbündete Türkei, die damals noch weite Teile Vorderasiens umfasst. In Nazareth entsteht ein »Kaiserlich Deutsches Feldlazarett«, in Bagdad soll eine ähnliche Institution aufgebaut werden. Allerdings ist der Weg an die mesopotamische Front reichlich unsicher geworden. Die sechs Schwestern des hessischen Alice-Vereins, die für diese Aufgabe abgestellt wurden, entschließen sich daher, ihr Ziel auf dem Wasserweg anzusteuern. Von Aleppo her kommend, treiben sie zusammen mit Ärzten, Pflegern und der gesamten Ausrüstung auf Flößen drei Wochen lang den Euphrat hinab, bis sie schließlich zum Tigris hinüberwechseln. Herrschte nicht Krieg, so könnten sie diese Reise als ein orientalisches Märchen genießen. Schakale umschleichen die Zelte, Karawanen ziehen am Ufer entlang. Wenn sie abends anlanden, bringen die Beduinen ihre Kranken herbei. »Die Ärzte untersuchten sie, und wir Schwestern brauten Medizin. Es war wie ein Bibelbild!«, notiert eine von ihnen. Die meisten Moscheen von Bagdad sind in Lazarette umgewandelt worden. Die Schwestern richten ihr Krankenhaus schließlich im

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