Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
Vom Netzwerk:
Palast eines Paschas ein, mit Palmengarten am Tigris.
    Zwischen Konstantinopel und Bagdad sind zu dieser Zeit eine ganze Reihe deutscher Sanitätsmissionen unterwegs, meist zusammengesetzt aus militärischem Sanitätspersonal und freiwilligen Helfern. Dem Bündnispartner soll auf jede erdenkliche Weise beigestanden werden, um so die zweite Front gegen Russland und England aufrechtzuerhalten. Unterstützt von hohen deutschen Offizieren, beginnt unter dem Deckmantel des Krieges im Frühjahr 1915 eine der bis dahin schlimmsten Schandtaten der Geschichte: die Vernichtung der Armenier. Ein deutscher Rotkreuzhelfer wird Zeuge dieser Tragödie.
    Mit 27 Jahren ist Armin T. Wegner bereits ein leidlich erfolgreicher Schriftsteller. Wenige Tage nach der Schlacht bei Tannenberg besichtigt er als Zivilist das Schlachtfeld. Als er eine herrenlose Mütze aufhebt, kommt darunter die Hand eines notdürftig verscharrten russischen Soldaten zum Vorschein. »Ich ergriff die Hand und sagte: ›Ich werde deiner gedenken‹ – und ging zum Roten Kreuz.« Nach einem Schnellkurs wird Wegner leitender Pfleger eines Lazaretts an der Ostfront. 1915 geht er in die Türkei, wo er zunächst im deutschen Krankenhaus in Konstantinopel und dann auf einem Lazarettschiff arbeitet. Als er über Aleppo nach Bagdad zieht, wird er Augenzeuge von Gräueltaten an den Armeniern. Schätzungsweise eine Million Menschen, manche Historiker sprechen von anderthalb, fallen den türkischen Pogromen, Massenerschießungen, vor allem aber den Deportationen in die syrische Wüste zum Opfer. Wegner besucht die Lager, fotografiert unter Lebensgefahr »Bilder des Entsetzens« und schmuggelt Briefe heraus. Schon beim ersten Heimaturlaub bemüht er sich verzweifelt um Öffentlichkeit, doch Ignoranz und Zensur bilden eine unüberwindliche Mauer. Erst nach dem Krieg kann er seine Erlebnisse veröffentlichen und einen Lichtbildvortrag über Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste halten. Damals wird er angefeindet und missachtet. Längst aber zählen seine Berichte und Fotografien zu den weltweit wichtigsten Dokumenten dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
    Wegners unermüdlicher Einsatz gehört zu den wenigen Lichtblicken in diesem ersten finsteren Kapitel des 20. Jahrhunderts. Das Rote Kreuz als humanitäre Organisation könnte stolz darauf sein, so jemanden in seinen Reihen gehabt zu haben. Doch Wegner taucht in den Annalen nicht auf, wie auch die Massaker an der christlichen Minderheit in den zeitgenössischen Berichten des Deutschen Roten Kreuzes fehlen. Dass der Türkische Rote Halbmond sie negiert, überrascht nicht. Doch auch das Internationale Komitee bleibt indifferent. Und das, obwohl sich diese Entwicklung lange angebahnt hatte.
    Die ersten Massaker im Jahr 1895 hatte Dunant noch mit grimmigen Worten über die »verderbte Menschheit« kommentiert. Clara Barton persönlich hatte damals mehrere Hilfsmissionen für die Armenier geführt. Zwanzig Jahre später sind es wiederum die Amerikaner, die den Verfolgten beistehen, gemeinsam mit dem Russischen Roten Kreuz und britischen Hilfsorganisationen. Die Mächte der Entente machen kein Hehl aus den Kriegsverbrechen ihrer Gegner, während deren Verbündete sie systematisch leugnen oder »die Verminderung der Armenier« sogar gutheißen.
    Wegner selbst geht früh auf Distanz zum Roten Kreuz. Als Pazifist steht er politisch eher links. Zudem ist er Einzelgänger, kein Vereinsmensch. Schließlich tritt er in den militärischen Sanitätsdienst über. Wo er freilich ebenfalls als ein unbequemer Humanist Anstoß erregt. Als er in einem Brief an seine Mutter die unmenschliche Behandlung britischer Kriegsgefangener durch die Türken schildert, wird er 1917 nach Deutschland strafversetzt.
    Die wenigen Stimmen, die sich damals erheben, lassen das Schweigen der Mehrheit umso deutlicher hervortreten. Dieses Muster wird sich wiederholen. Im April 1933, unmittelbar nach den ersten Übergriffen auf Juden in Deutschland, schreibt Wegner einen Brief an Hitler, »als ein deutscher Schriftsteller, dem die Gabe der Rede nicht geschenkt wurde, um zu schweigen, wenn sein Herz vor Entrüstung und Scham erbebt«. Er unternimmt den tollkühnen Versuch, dem »Herrn Reichskanzler« die Hetze gegen Juden auszureden und so »die Würde des deutschen Volkes zu wahren«. Daraufhin wird Wegner gefoltert und für mehrere Monate interniert. Heute zählt er in Armenien wie auch in Israel zu den Gerechten der Völker.
    Visite in

Weitere Kostenlose Bücher