Im Zeichen der Menschlichkeit
Staaten wie Südafrika und Brasilien Unterstützung schicken; die umgekehrte Richtung ist heute geläufiger. 1920 verteilen Hilfsorganisationen landesweit 13000 Tonnen Kleiderspenden aus dem Ausland und 16000 Tonnen Lebensmittel, darunter eine Tonne Lebertran. Im Charlottenburger Cecilienhaus, Sitz des dortigen Frauenvereins, überreichen der brasilianische Gesandte und seine Gattin Bohnen, Schmalz und Reis für fünfhundert Familien. Auch das Chilenische Rote Kreuz – die Weggefährten von Siegfried Braun – schickt einige Tonnen Nahrungsmittel. In Südafrika erinnert sich Rachel Steyn, die Witwe des letzten Präsidenten des Oranje-Freistaats, an die deutsche Hilfe während des Burenkriegs. Sie sammelt Geld für Schulspeisungen, mit denen achttausend Leipziger Kinder versorgt werden.
Eines Tages sprechen beim Roten Kreuz in Berlin zwei Besucher aus Japan vor: ein gewisser Herr Kuwata vom Japanischen Roten Kreuz und ein Herr Okada, Gouverneur der Präfektur Nagano. Sie wohnen einer Kinderspeisung bei, informieren sich über die Not der Jugend, besichtigen vermutlich auch die Arbeitergärten. Sie machen nicht viel Aufhebens von sich, fragen nur interessiert und nehmen eine Broschüre über »Die Krisis in Deutschland« mit. Zu Hause lassen sie diese ins Japanische übersetzen, verteilen sie an Schulen und berichten von der Not, die sie gesehen haben. Drei Monate später erhält das Deutsche Rote Kreuz aus Japan eine Spende von über einer Million Mark. Damals, noch vor der großen Inflation, ein Vermögen.
»Die Zeit des Wirrwarrs«
Nach außen hin verläuft die Demobilisierung des Roten Kreuzes zunächst glatt. Der sächsische Albert-Verein erstellt 1919 eine Dokumentation seiner Kriegstätigkeit, an deren Ende es lapidar heißt: »Der Verein wendet sich nunmehr wieder seinen Friedensaufgaben zu.« In ähnlicher Weise erklärt das deutsche Zentralkomitee: »Das Rote Kreuz steht nach Erfüllung seiner Kriegspflichten vor einer umfassenden Friedenstätigkeit.« Die Kehrtwende wird so ungerührt vollzogen, als bräuchte man nur einen Schalter umzulegen. Dieselben Leute, die eben noch die »heimische Kriegsarbeit« als Hauptaufgabe des Roten Kreuzes bezeichnet hatten, stellen die Organisation nun als »Friedensinstrument ersten Ranges« dar. Doch es bleibt kaum eine andere Wahl. Der Versailler Vertrag untersagt militärische Vereinigungen aller Art, eine Anbindung an die Armee ist dadurch ausgeschlossen. Widerstrebend wandelt sich der Verein zur Wohlfahrtsorganisation, die Dienstaufsicht wechselt nun vom Kriegs- zum Innenministerium. Er soll sich weitgehend auf karitative Aufgaben beschränken, womit er zugleich in Konkurrenz zu kirchlichen und kommunalen Einrichtungen tritt wie auch zu anderen Hilfsorganisationen.
Liebesgaben für Deutschland: Fisch aus Norwegen wird in Berlin an bedürftige Kinder verteilt.
© R. Sennecke / DRK
Die Situation ist umso schwieriger, als das Deutsche Rote Kreuz nun weltweit ins Abseits zu geraten droht und an den machtvollen Veränderungen, die sich in der internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung vollziehen, nur sehr beschränkt teilhaben kann. Die nationalen Gesellschaften in Frankreich, Belgien und Großbritannien fordern vom Zentralkomitee ein Wort des Bedauerns über deutsche Kriegsvergehen und Völkerrechtsbrüche wie die Besetzung des neutralen Belgien, die Giftgaseinsätze, den U -Boot-Krieg und die Versenkung etlicher Lazarettschiffe. Aber Berlin schweigt, und so kommt die Verständigung untereinander kaum in Gang. Zeitgleich wird in Genf die Liga der Rotkreuzgesellschaften gegründet, eine Art Völkerbund der nationalen Verbände. Die Dachorganisation soll als Ergänzung zum Internationalen Komitee dienen, wird jedoch von diesem zunächst durchaus als rivalisierende Einrichtung betrachtet. Es droht die Gefahr einer Spaltung. Der Vorstoß, der vor allem von den angelsächsischen Gesellschaften ausgeht, soll das Monopol des Genfer Klubs brechen und den Einfluss der bis dahin mächtigen deutschen und österreichischen Vereine zurückdrängen, die zunächst von der Liga ausgeschlossen bleiben. Der Weltkrieg hat vom Geist des »tutti fratelli« nicht viel übrig gelassen. Schließlich stecken die beiden Kontrahenten die Reviere ab: Das Internationale Komitee soll primär Kriegsaufgaben wahrnehmen, die Liga Friedensaufgaben wie Katastrophenhilfe, Sozialmedizin und Gesundheitsfürsorge.
In Deutschland findet eine Aufarbeitung der nationalistischen Indoktrination und
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