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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Hilfsorganisation dem international geächteten Deutschland bei der Rückkehr auf die Weltbühne. Nach Gründung der DDR wird sich ein ähnlicher Prozess wiederholen: Wann immer ein Staat einen Neuanfang versucht, kann das Rote Kreuz als zweckmäßiges Instrument dienen, um nach innen wie nach außen Vertrauen zu gewinnen.
    Dennoch bleibt eine tiefe Verunsicherung spürbar. Die alten Eliten, die nicht nur die Führungsriege des Roten Kreuzes gestellt, sondern auch seinen Geist, sein Selbstverständnis geprägt haben, sind gründlich entzaubert. Gleichzeitig verarmt der Mittelstand, und die Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement nimmt ab. Dies trifft das einst blühende Vereinswesen generell und auch das Rote Kreuz, das den Status eines eingetragenen Vereins besitzt. Die Widersprüche der Institution überlagern sich mit den Widersprüchen der Zeit. Wenn es noch 1930 in einem Lehrbuch heißt, »die Mitglieder der Sanitätskolonnen sind in Ausübung freier Liebestätigkeit zur Unterstützung des Gebirgsrettungsdienstes bereit«, so zeugt das nicht nur von unfreiwilliger Komik, sondern auch von einer überholten Grundhaltung, die im 19. Jahrhundert stecken geblieben zu sein scheint. Bezeichnend für das reaktionäre Image, das der Organisation anhaftet, ist eine Polemik Kurt Tucholskys: »Das Rote Kreuz ist eine durchaus wilhelminische Einrichtung geblieben. In den leitenden Stellen wimmelt es von Adligen, von ehemaligen hohen Militärs, von Oberstabsärzten, von Leuten, die aus dem Kriege her in unangenehmster Erinnerung sind. Der Damenflor setzt sich aus Blüten zusammen, die viel zu wenig karikiert werden: diese maßlos hochmütige, rafferische Kastenfrau, die alles vom Staat beansprucht, weil sie ihn als ihr gehörig ansieht.«
    Das Rote Kreuz versucht gegenzusteuern, indem es sich mit fortschrittlichen Kräften zusammentut und demonstrativ mit der Zeit geht. Zu einem Aushängeschild des Neubeginns wird Adele Schreiber, eine bekannte Frauenrechtlerin und sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete. Allein das ist bemerkenswert: SPD -Mitglieder waren während des Kaiserreichs ausgeschlossen, was zur Entstehung des Arbeiter-Samariter-Bundes beigetragen hatte. Der vermag sich nun leichter an die neuen Verhältnisse anzupassen. Prompt hält das Zentralkomitee ihm vor, dass er unter dem Deckmantel der Humanität politische Ziele verfolge – was das vaterländische Rote Kreuz natürlich zu keiner Zeit auch nur im Entferntesten getan hat.
    Eigens für Adele Schreiber wird eine »Abteilung Mutter und Kind« eingerichtet, die auch »die Anknüpfung neuer internationaler Verbindungen fördern soll«. Das Vorzeigeprojekt umfasst Kinderkliniken, Beratungsstellen und Erholungsangebote. Als Deutschland 1923 in den Schoß der Liga aufgenommen wird, erhält Schreiber dort einen Posten – ein weiterer Prestigeerfolg. Sie selbst spricht den innenpolitischen Fragen größere Bedeutung zu, ist es doch ihre Überzeugung, dass »Kampf gegen das Elend das wirksamste Mittel gegen alle Extreme von links und von rechts« wäre.
    Zu den Aufgaben ihrer Abteilung gehört auch die Kinderverschickung in die Schweiz, die Mitte 1921 bereits den fünfzigsten Transport feiern kann. 25000 deutsche Kinder haben dank dieser Einrichtung einige halbwegs unbeschwerte Monate bei Pflegefamilien verlebt – eine menschliche Bereicherung für beide Seiten. Als eine Mutter sich bei den Gastgebern im Kanton Bern bedankt, erhält sie folgende Antwort: »Werte Frau B., haben Euern Brief mit Freuden erhalten. Aber wir tun nur eine Christenpflicht an Eurem Kinde. Kann ihm nicht viel bieten, denn wir sind selber Kleinbauern und haben nur sechs Kühe, zwei Pferde, vier Schweine, hingegen doch zu Essen genug. Es ist ein gutes Kind, haben es alle sehr gern. Langeweile hat es, glaub ich, nie gehabt, es hat nie geweint. Was uns am meisten Arbeit macht, ist die Sprache, weil wir nur Berndeutsch sprechen. Verstehen uns aber schon ziemlich. Habe neun Kinder, fünf Enkelinnen und ein altes Mutterherz von fünfundsechzig Jahren. Das Kind soll gesund und munter zu Euch zurückkehren, das ist mein größter Wunsch.«

Im DRK-Erholungsheim Sonnenstein im thüringischen Sulza arbeiten Kinder begeistert im Gemüsegarten.
    © DRK

    Nordlandfahrt: Auf Initiative des Roten Kreuzes reisen Kinder aus Deutschland zu einem Erholungsaufenthalt nach Schweden.
    © DRK

In Deutschland richtet die Abteilung »Mutter und Kind« mehrere große Erholungsheime ein. Sechstausend »Stiefkinder

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